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Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der ifa-Galerie Berlin bringt der Podcast künstlerische und kuratorische Stimmen zusammen, die seit Gründung der Galerie 1991 eng mit ihr in Verbindung stehen.

Ausgewählte Gäste diskutieren mit Sandra Teitge anhand des Galerie-Programmes inhaltliche Schwerpunkte der vergangenen 30 Jahre. Im Gegensatz zu vielen anderen ehemals westdeutschen Kulturinstitutionen fokussierte sich die Galerie schon früh, in den 1990er Jahren, auf die Zusammenarbeit mit ost- und südosteuropäischen Künstler:innen und Kurator:innen. Wie haben sich künstlerische und kuratorische Ansätze und Arbeitsweisen verändert? Wie steht es z.B. um den öffentlichen Raum, der in Ost- und Südosteuropa stärker in die künstlerische Praxis miteinbezogen wurde? Bietet er noch Handlungsspielräume in der Region? Fragen wie diese verbinden den Podcast mit Themen der Gegenwart und geben lokalen Kunst- und Kulturproduzent*innen eine Stimme.

Für die erste Folge von Past –> Present spricht Sandra Teitge mit der Berliner Kuratorin und künstlerischen Leiterin des KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst Kathrin Becker und mit dem in St. Petersburg lebenden Künstler Dmitry Vilensky vom Kollektiv Chto Delat (Was ist zu tun?). Die beiden unterhalten sich über ihre jeweilige Arbeit mit und über das ifa hinaus; begleitet wird ihr Austausch von einem Audiobeitrag des Berliner Musik- & Performance-Duos R&D, das außerdem einen Bonustrack produziert hat, der dieses Gespräch ergänzt.

Konzept: Sandra Teitge

Musik: Kolbeinn Hugi

Tonbearbeitung: Kolbeinn Hugi

Dank: Ev Fischer, Inka Gressel, Wiley Hoard

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Willkommen zu Past –> Present – anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der ifa-Galerie Berlin.

Ich bin Sandra Teitge, in Berlin geborene und lebende Kuratorin und Forscherin (researcher), und die Moderatorin dieses Podcasts.

Past –> Present bringt künstlerische und kuratorische Positionen zusammen, die mit der ifa-Galerie seit ihrer Gründung 1991 verbunden sind. Ausgehend vom Programm der Galerie werde ich mit einer Gruppe von Gästen über das allgemeine Ethos und die Forschungsinteressen des ifa in den frühen 90er Jahren und heute sprechen. 

Welche Bedeutung haben Kulturinstitutionen, die den künstlerischen und kulturellen Austausch fördern, wie das ifa, damals und heute – vor allem in Zeiten von zunehmendem Nationalismus und kultureller Isolation?

Im Gegensatz zu vielen anderen ehemals westdeutschen Kulturinstitutionen fokussierte sich die Galerie schon früh, in den 1990er Jahren, auf die Zusammenarbeit mit ost- und südosteuropäischen Künstler:innen und Kurator:innen. Wie haben sich künstlerische und kuratorische Ansätze und Arbeitsweisen verändert? Wie steht es z.B. um den öffentlichen Raum, der in Ost- und Südosteuropa stärker in die künstlerische Praxis miteinbezogen wurde? 

Fragen wie diese verbinden den Podcast mit Themen der Gegenwart und geben Kunst- und Kulturproduzent*innen eine Stimme, die irgendwann einmal mit dem ifa verbunden waren.

Für die erste Folge von Past –> Present freue ich mich sehr, die Berliner Kuratorin und künstlerische Leiterin des KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst Kathrin Becker und den in St. Petersburg lebenden Künstler Dmitry Vilensky vom Kollektiv Chto Delat (Was ist zu tun?) begrüßen zu dürfen. Die beiden werden sich über ihre jeweilige Arbeit mit und über das ifa hinaus unterhalten; begleitet wird ihr Austausch von einem Audiobeitrag des Berliner Musik- & Performance-Duos R&D, das außerdem einen Bonustrack produziert hat, der dieses Gespräch ergänzt.

Bevor sie Anfang 2020 zum KINDL – Zentrum für aktuelle Kunst kam, war Kathrin Becker Geschäftsführerin des Neuen Berliner Kunstvereins (n.b.k.) und Leiterin des dortigen Video-Forums. Seit Anfang der 1990er Jahre organisiert und kuratiert sie verschiedenste Ausstellungen, viele davon entweder in Russland oder mit russischen Künstler:innen in Deutschland und anderswo. Für das ifa kuratierte Kathrin Becker in den 1990er Jahren zwei Ausstellungen, die sich mit Kunst aus Russland beschäftigten: ’95 die Ausstellung „Zeitgenössische Fotografie aus Moskau“ und ’99 die Ausstellung „Neues Moskau. Kunst aus Moskau und St. Petersburg“.

Chto Delat (Was ist zu tun?) wurde 2003 in St. Petersburg von einer Gruppe von Künstler:innen, Kritiker:innen, Philosoph“innen und Schriftsteller:innen mit dem Ziel gegründet, politische Theorie, Kunst und Aktivismus miteinander zu verbinden. Die Ideen der Gruppe wurzeln in der aktiven Teilnahme der Mitglieder an und der Erforschung der aktuellen sozialen und politischen Situation in Russland sowie in Prinzipien der Selbstorganisation und kollektiven Aktion. Im Rahmen des ifa nahm Chto Delat an der Gruppenausstellung „Riots. Slow Cancellation of the Future“ im Jahr 2018 teil, die von Natasha Ginwala kuratiert wurde und Teil der größeren Projekt- und Ausstellungsreihe Untie to Tie ist.

R & D wurde 2018 von Emilia Kurylowicz, einer in Polen geborenen Künstlerin und Filmemacherin, und Maru Mushtrieva, einer in Russland geborenen Schriftstellerin, gegründet. Gemeinsam erforschen sie Stereotypen und Muster, die in ihrer unmittelbaren Umgebung, sowohl real als auch virtuell, zu finden sind, und nutzen diese als Ausgangspunkt für ihre Musik und Performances.

***

ST: Herzlich willkommen. 

Vielen Dank, dass Ihr heute bei diesem Podcast dabei seid.

Lasst uns zu Beginn über Eure jeweiligen Erfahrungen in der Arbeit mit und in der ifa-Galerie Berlin sprechen. Kathrin, möchtest du anfangen?

Wie kam es zu der Zusammenarbeit? Was ist Deine Verbindung zu Russland? Mit wem arbeitetest Du zusammen am ifa?

KB: Ich habe zwei Ausstellungen mit dem ifa gemacht, eine 1995 und die andere 1999/2000 zu der Zeit, als ich als freie Kuratorin in Berlin tätig war. Die erste Ausstellung hieß „Zeitgenössische Fotokunst aus Moskau“ und es waren eine Reihe von Künstler*innen beteiligt, wie Yuri Babich, Gor Chahal, Fenso-Group, Ilya Piganov, Alexei Shulgin, Anatoli Shuravlev, IV. Vysota – kurioserweise zwei Kollektive.

[R & D]

KB: Und wie ist es dazu gekommen? Der ehemalige Direktor des n.b.k., Alexander Tolnay, initiierte diese Reihe, „Zeitgenössische Fotokunst aus“ … und Moskau war die erste Ausstellung innerhalb dieser Ausstellungsreihe, die sich mit der Fotokunstszene verschiedener Länder beschäftigte. Es war eine Zusammenarbeit zwischen dem neuen berliner kunstverein, der Akademie der Künste und dem ifa.

[R & D]

KB: Ich habe mit Barbara Barsch, der ehemaligen Direktorin der ifa-galerie Berlin, und Ev Fischer zusammengearbeitet. Die Idee hinter diesem Projekt war, dass Fotografie oder Fotokunst, fotobasierte Kunst erst in den späten 1980er, frühen 1990er Jahren zu einem echten Gegenstand des öffentlichen Sammelns in russischen Museen wurde. Der Anlass dieser Ausstellung war also, sich mit einem Aspekt der russischen Kunstproduktion zu befassen, der in gewissem Sinne wahrscheinlich übersehen wurde, sogar im Land selbst.

[R & D]

KB: Das andere Projekt hieß ‚Neues Moskau“. Das war die zweite Ausstellung, die ich für das ifa kuratierte. Der Untertitel lautete „Kunst aus Moskau und St. Petersburg“ und die Teilnehmer*innen waren Andrei Chlobystin, Vladislav Mamyshev, Timur Novikov, Inspektion Medizinische Hermeneutik…. eigentlich war es Pavel Pepperstein, der teilnahm, und Yevgeniy Yufit. Für dieses Projekt gingen Barbara Barsch und ich sowie der Künstler Rémy Markowitsch auf eine Forschungsreise nach Moskau. Die Inspiration für dieses Projekt war die Tatsache, dass in der Hauptstadt ein neuer Geist in Sachen öffentlicher Kunst aufkam.

[R & D]

KB: Der georgische Bildhauer Zurab Tsereteli errichtete in enger Verbindung mit dem damaligen Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow alias „Der König von Moskau“ zahlreiche Superdenkmäler in Moskau, die ein neues Kulturverständnis einleiteten, das die früheren sowjetischen Inhalte durch nationalistische und religiöse Tendenzen ersetzte, aber die gleiche monumentale Sprache des 19. Jahrhunderts verwendete…

Es gibt einige berühmte Denkmäler von Zurab Tsereteli in Moskau, wie die Christ-Erlöser-Kathedrale, das Manege-Platz-Ensemble, der Kriegsdenkmal-Komplex auf dem Poklonnaya Gora und nicht zuletzt das Denkmal für Peter den Großen von 1997. Dieses hatte Tsereteli ursprünglich zum 500. Jahrestag der ersten Reise von Christoph Kolumbus 1992 entworfen. Da sich aber kein amerikanischer Kunde für das Denkmal fand, wurde der Kopf durch den Kopf von Peter dem Großen ersetzt.

[R & D]

KB: Das Denkmal war gigantisch. 1000 Tonnen Gewicht; 600 Tonnen Edelstahl und Bronze und Kupfer. Es war für mich sehr kurios, diese Tendenz zu sehen. Barbara Barsch und ich gingen dorthin, um zunächst einmal den Künstler, Zurab Tsereteli, zu interviewen. Wir hatten eine Dokumentation von Tseretelis Denkmälern im Katalog. Aber dann haben wir natürlich auch Werke von Künstler*innen ausgestellt, die sich ironisch mit neuen Tendenzen in der russischen Szene oder Kultur auseinandersetzen. So hieß zum Beispiel eine Zeichnung von Pavel Pepperstein „Denkmal für Jemanden mit sehr langem Haar“ – ein ziemlich direkter Kommentar zu dem, was damals in Moskau aufkam. Und der Titel „Neues Moskau“ bezog sich auf ein berühmtes sozialistisches Gemälde von Juri Pimenow aus dem Jahr 1937, das die Tatsache kommentierte, dass die neuen Denkmäler in Moskau gar nicht so neu waren, ästhetisch und auch in ihrer imperialen Haltung.

[R & D]

KB: Das waren die beiden Projekte, die ich für das ifa organisierte. Vielleicht zeigt das schon, dass ich von einer Zeit spreche, die 20-25 Jahre zurückliegt.

ST: Wenn man auf die Ausstellungen des ifa zurückblickt, war der Ansatz in den frühen 90er oder 90er Jahren ein ganz anderer als heute. Die Gruppenausstellung, an der Chto Delat teilnahm, spiegelt diesen neueren Ansatz wider, würde ich sagen, wo es eher einen thematischen als einen nationalen Ansatz gibt, wie du ihn beschrieben hast, Kathrin, wo es ausschließlich um ein Land ging.

KB: Nun, ja. Aber man muss auch sehen, dass es eine ganz andere Zeit war. In den 1990er Jahren war die Welt viel kleiner als heute. Stellt Euch vor, dass in Europa nicht einmal das Internet weitflächig für viele Menschen verfügbar war. Um eine*n Künstler*in zu finden, zum Beispiel in St. Petersburg oder in Westafrika oder in Australien, musste man dorthin reisen; man brauchte lokale Verbindungen. Es gab keine Möglichkeit, sich Künstler*innenportfolios auf der Website anzuschauen. Und auch nicht so viele, wie zum Beispiel russische Künstler*innen, sprachen zu der Zeit Englisch. Es gab also eine Menge verschiedener Fragen. Stellt Euch vor, die erste Ausstellung, die 50 % westliche Künstler*innen und 50 % nicht-westliche Künstler*innen Schulter an Schulter ausstellte, war Jean-Hubert Martins „Les Magiciens de la Terre“ (Magier der Erde) in Paris im Jahr 1989. –Innerhalb dieser 30 Jahre habe ich selbst auch viele Veränderungen erlebt–. Und dies war der erste Versuch einer Ausstellung, die eurozentristische Sichtweise oder diese Idee der Überlegenheit im Bereich der Künstler*innen und der künstlerischen Darstellung zu untergraben.

[R & D]

KB: Das ifa wurde in einer Zeit gegründet, als transnationale Fragen noch nicht so weit entwickelt waren wie heute. Deshalb hatte es damals natürlich eine andere Agenda. Und eigentlich hatten wir damals alle eine andere Agenda. Und ich denke, diese beiden Ausstellungen, „Riots. Slow Cancellation of the Future“ und „Zeitgenössische Fotokunst aus Moskau,“ unterstreichen diese Entwicklung dieser 20 oder 30 Jahre sehr gut.

ST: Das denke ich auch. Beim ifa gab es einen Wechsel in der Leitung. Barbara Barsch, mit der Du zusammengearbeitet hattest, ging 2016 und Alya Sebti übernahm, die dann wiederum Natasha Ginwala einlud, eine der Ausstellungen in der Reihe Untie to Tie zu kuratieren. Also vielleicht könntest du, Dmitry, ein bisschen über deine Arbeit sprechen, auch als Mitglied eines Kollektivs –du leitest zusammen mit anderen Rosa’s House of Culture (Rosas Kulturhaus)–, sowie über dein Verständnis von Kulturarbeit und kulturellem Austausch. Wie hast Du, neben der Teilnahme an dieser Ausstellung, die Herangehensweise des ifa in Bezug auf Kulturarbeit und -austausch erlebt?

DV: Danke! Nach Kathrins Ausführungen fühle ich mich sehr nostalgisch. Es war eine sehr legendäre Zeit … als man wirklich Kontakt aufnehmen musste … reisen … besonders mit all diesen Online-Aktivitäten im Moment. Ich erinnere mich sehr gut an ifa von meinen ersten Besuchen in Berlin. Ich habe es sehr geschätzt. ifa spielte eine ganz besondere Rolle, wie auch Kathrin erklärte. Viele Dinge, die im lokalen Kontext irgendwie nicht zu realisieren waren, wurden bei ifa realisiert: eine weißrussische Ausstellung, eine ukrainische Ausstellung. Das war sehr interessant. Man kann auch über eine gewisse koloniale Art der Herangehensweise spekulieren, wenn man ein bestimmtes Wissen und eine bestimmte Position herauszieht. Aber gleichzeitig war es aus lokaler Sicht ein gegenseitiger Nutzen.

[R & D]

KB: Absolut, es war vielleicht die einzige Chance, eine bestimmte Art von sehr interessanter Recherche über verschiedene Situationen in Lateinamerika, in Osteuropa, in Afrika… zu sehen, sehr wichtige Installationen und neue Stimmen, die sich später über internationale Kommunikationslinien verbreiten konnten. Und auch die Informationen und das Wissen, das durch diese Ausstellungen gesammelt wurde, kommen durch Kataloge oder Dialoge zwischen den Leuten, die die Eröffnung besuchten, zurück. Die Rolle des ifa war also sehr wichtig für diese speziellen Länder, die ein gewisses Problem mit der Entwicklung einer zeitgenössischen Kunstszene hatten. Unsere Erfahrung war recht begrenzt, aber wir kannten Natasha. Es ist immer ein Vergnügen, an dieser Art von Ausstellungen teilzunehmen. Du erwähntest auch richtig, dass bei ifa eine gewisse Verschiebung von einer nationalen Repräsentation hin zu einer mehr thematischen oder kuratorischen Repräsentation stattfand, [die] viele Stimmen präsentierte, die in der internationalen oder in der Berliner/deutschen Situation nicht sehr präsent waren oder sind.

[R & D]

DV: Ich habe früher in Deutschland gelebt und gearbeitet, als Kurator, Produzent, in Frankfurt und Berlin. Wir, Chto Delat, haben lange Zeit ohne Galerie gearbeitet, aber dann bei KOW Berlin unser Zuhause gefunden, worüber wir sehr glücklich sind und was eine andere Art von Beziehung zur Kunstwelt mit sich bringt. Gleichzeitig ist Berlin eine der wenigen westlichen Städte, die so gut mit dem Osten verbunden ist, mit Russland, mit Polen… Wien [ist] mehr mit dem Balkan verbunden, aber Berlin definitiv mehr mit dem Norden. Und es gibt ein historisches Wissen und eine Expertise, wie Kathrin, die perfekt Russisch spricht und viel reist. Viele Leute pendeln zwischen Moskau und Berlin oder St. Petersburg und Berlin oder Kaliningrad – was auch immer. Berlin ist ein super wichtiger Ort. Und gleichzeitig, würde ich sagen, sind wir wegen dieses historischen Wissens vielleicht auch am meisten in Deutschland ausgestellt. Das [Publikum in Deutschland] versteht wirklich, wer wir sind, weil dieser Übersetzungsprozess manchmal sehr schwierig ist. Eigentlich war das ifa in diesem Zusammenhang immer sehr interessant, weil es immer ein Verfahren der Übersetzung war.

ST: Es war auch eine der ganz wenigen westdeutschen Institutionen, die sich nach dem Zusammenbruch der Systeme 1989/90 mit dem ehemaligen Osten beschäftigt haben. Das war damals auch recht ungewöhnlich. Ich wollte auch fragen, Kathrin, wie Dein Interesse an Russland zustande kam. Du sprichst ja offensichtlich Russisch fließend, wie auch Dmitry erwähnte.

KB: Das ist eine ganz banale Geschichte. Ich bin in Hagen aufgewachsen, im Westen des Ruhrgebiets oder in der Nähe davon. Es gab eine Schule, die Französisch oder Russisch als dritte Fremdsprache nach Englisch und Latein anbot. Ich habe mich als Jugendliche für Russisch in der Schule entschieden. Es gab immer diese Vorstellung vom russischen Feind und dem bösen Iwan, der einmarschierte … und so weiter. Ich wollte die Sprache kennen und ich wollte der Hegemonie der Vereinigten Staaten entkommen, oder was auch immer für eine Idee ich als Teenagerin hatte.

[R & D]

KB: Ich studierte dann in Bochum Kunstgeschichte und slawische Sprachen. Da gab es Karl Eimermacher und Georg Witte, die sehr wichtig waren. Sie arbeiteten beide am Slawischen Institut und führten mich in die so genannte Inoffizielle Russische oder Sowjetische Kunst ein. Sie haben mich auch sehr früh, Mitte der 1980er Jahre, in den Moskauer Konzeptualismus eingeführt. Das war der Beginn. Und dann ging ich 1989 mit einem Stipendium des daad nach Russland, um meinen Master über den Sowjetischen Sozialistischen Realismus vorzubereiten. Ich sollte eigentlich zehn Monate bleiben, aber die Zeiten waren so spannend, dass ich zwei Jahre blieb. Dieser Aufenthalt in Russland und die Verbindungen, die ich dort hatte, sowie das große Interesse, das damals an russischer Gegenwartskunst von Seiten westlicher Museen und so weiter bestand, waren mein Türöffner für eine kuratorische Karriere. Einige Jahre lang habe ich im Austausch zwischen Russland und Europa, Russland und Deutschland und auch den Vereinigten Staaten gearbeitet. Heute habe ich einen etwas anderen Blick auf diese Zeit, wenn ich sehe, dass dieses Interesse an der russischen Kunstszene ein [bewusster] Schritt der auswärtigen Kulturpolitik des Westens war. Ich sehe heute, dass russische Künstler*innen höchstwahrscheinlich instrumentalisiert wurden, um die letzten Schlachten des Kalten Krieges zu überstehen oder um eine Entscheidung zu treffen.

[R & D]

KB: Ich denke, dass Chto Delat (Was zu tun ist) eine Ausnahme von der Regel darstellen. Sie arbeiten in Berlin und in Deutschland und auch im internationalen –westlichen– Kunstsystem. Berlin beansprucht immer, diese Brücke zwischen Ost und West zu sein und so weiter. Aber wenn man sich jetzt die Berliner Kunstszene anschaut, haben russische Künstler*innen mit Ausnahme von Chto Delat sehr wenig Fußabdrücke auf dieser Landkarte hinterlassen. Viele Künstler*innen leben hier, wenn wir an Vadim Zakharov, Dmitry Vrubel oder AES+F oder… denken, sie alle leben hier, aber sie hinterlassen fast keine Spuren in der institutionellen Kunst- oder Galerienszene. Das spricht dafür, dass das Interesse an russischer Kunst nach dem Ende des Kalten Krieges gegen Null tendierte.

[R & D]

KB: Ich glaube, das ist immer noch der Fall. Wenn man sich Blockbuster-Ausstellungen wie die Biennale in Venedig oder die documenta anschaut, habe ich immer noch das Gefühl, dass Russland und Osteuropa stark unterschätzt werden.

ST: Könntest Du darauf antworten, Dmitry?

DV: Ja, das ist eine sehr bittere, aber gleichzeitig auch eine richtige Bemerkung. Ich stimme dem vollkommen zu. Aber gleichzeitig denke ich, dass es auch das Problem der Entwicklung der russischen Öffentlichkeit und des demokratischen Raums war, die nicht in der Lage waren, ihre eigenen Institutionen zu schaffen. Die zeitgenössische Kunst bleibt unglaublich marginalisiert und kriminalisiert. Und gerade jetzt, im Mai 2021, würde ich sagen, dass die Situation die schlimmste ist, an die ich mich je erinnern kann. Sie ist sehr fragil. Es begann im Dezember zu eskalieren, nachdem Navalny aus Deutschland nach Russland zurückgekehrt war, und dann begann alles sofort zu kollabieren. 

[R & D]

DV: Ohne starke lokale Institutionen kann man sich kaum beteiligen. Gleichzeitig kann man sich innerhalb dieser repressiven Blase auch kaum weiterentwickeln. Es gibt nicht viele Möglichkeiten, eine künstlerische Sprache zu entwickeln, die herausfordernd wäre und Aufmerksamkeit erregen würde. In unserem Fall war das ganz anders. Wir sind explizit international, weil wir diese Sprache kennen, aber gleichzeitig schaffen wir es, aus unserer Tradition heraus ernsthafte Kunst zu machen.

[R & D]

DV: Vielleicht weil wir alle bestimmte Erfahrungen haben – ich spreche jetzt als Teil des Kollektivs Chto Delat. Die meisten unserer Mitglieder haben ernsthafte Erfahrungen mit dem Leben und Arbeiten im Westen, haben sich aber bewusst dafür entschieden, unsere [und ihre] Arbeit in Russland fortzusetzen. Diese Position eines*r Vermittlers*in und Übersetzers*in, nicht nur von der westlichen Warte, sondern ins Russische und umgekehrt, ist wirklich noch sehr spannend.

ST: Hast D das Gefühl, dass Institutionen wie das ifa, die den kulturellen Austausch organisieren, immer noch so wichtig sind wie in den frühen 1990er Jahren? Oder sind Initiativen wie das von Dir mitorganisierte Rosa’s House of Culture (Rosas Kulturhaus), die sich auf das Lokale konzentrieren, in einem Klima wie diesem möglicherweise effizienter?

DV: Das hängt davon ab, was Du „effizient“ nennst. Ich mag dieses Wort nicht. Was wir hier [in St. Petersburg] machen, ist eine sehr lokale Arbeit, die gemacht werden muss. Leider müsste sie in einem viel größeren Maßstab getan werden. Gleichzeitig werden die Menschen gerade jetzt sensibler, wer spricht, für und mit wem – die Bedingungen der Beteiligung, diese Art von ethischer Wende ist sehr wichtig. Ich stimme auch mit Dir überein, mit dem, was Du sagtest, dass das ifa seine Politik ändern muss, weil man diesen rein repräsentativen [Ansatz] nicht einfach weiterführen kann. Gleichzeitig würde ich es aber auch nicht untergraben, denn für viele Menschen ist diese Expertise von außen [wichtig] – wie Benjamin immer sagte, dass man, um etwas zu verstehen, Abstand [davon] nehmen muss. Aber wer schafft diese Distanz? Wie ist sie strukturiert? Wer profitiert davon?

[R & D]

DV: Was Kathrin sagte, dass sie rückblickend verstanden hat, wie die Kunst in den Beziehungen nach dem Kalten Krieg instrumentalisiert wurde… Jetzt haben wir einen neuen Kalten Krieg. Und auf welcher Seite stehst Du? Wir sind ja offen Dissident*innen. Kathrin versteht mich ganz gut, denke ich. Wenn ich über die aktuelle Situation nachdenke, denke ich, dass wir dramatisch zu diesem Zustand der Dissident*innenproduktion zurückkehren. Und dissidente Produktion war immer irgendwie sehr marginal und lokal und hat gleichzeitig international einen Wert. Sie war die einzige Quelle, um weiterhin gewisse Ressourcen und Sichtbarkeit zu haben. Gleichzeitig ist die Situation nicht mehr so wie in den 1980er Jahren. Wir haben Institutionen, neue wie Garage oder VAC. Sie machen ernsthafte Arbeit und gehören zu den mächtigsten Institutionen international. Aber es sind nur sehr wenige. Und sie haben auch eine gewisse Einschränkung, denn im Moment ist die Selbstzensur unglaublich hoch. Jeder weiß, worüber man reden darf und worüber nicht. Und die Spielregeln ändern sich alle zwei Wochen. Die Leute haben Angst, wie es weitergehen soll, weil Geschäft und Macht in Russland miteinander verflochten sind, so dass man nicht unglaublich unabhängig sein kann. Die meisten Oligarchen, Privatunternehmen, sind absolut abhängig von den [politischen] Bedingungen, um zu überleben.

[R & D]

DV: Früher, nach 2014 zum Beispiel, gab es haufenweise ukrainische Ausstellungen. Wo sind sie jetzt? Im Moment liegt der Fokus absolut außerhalb des Ostens. Es geht um das Dekoloniale, das Postkoloniale, was absolut legitim ist. Aber gleichzeitig würde ich von einer Welt träumen, die auf gleichberechtigteren Formen von Partnerschaften und Ressourcen aufbaut.

ST: Dem stimme ich voll und ganz zu, Dmitry. Vielen Dank, Kathrin. Vielen Dank, Dmitry, dass Ihr Eure Gedanken und Erinnerungen an das ifa mit uns geteilt habt. Dies scheint ein guter Moment zu sein, um dieses Gespräch zu beenden, da uns auch die Zeit davonläuft. Ich bin sehr dankbar, dass ich das Vergnügen hatte, mit Euch beiden zu sprechen… und ich hoffe, dass die Zuhörer*innen dieses Gespräch genauso genossen haben wie ich. Wie im Intro erwähnt, hören Sie sich bitte auch den Bonustrack zu dieser Folge an, produziert von R&D, deren Song „Bendable“ dieses Gespräch begleitete. 

Bitte bleiben Sie auch dran für die zwei weitere Episoden in dieser Serie Past –> Present, die wir derzeit planen, im frühen und späten Herbst dieses Jahres auszustrahlen. Bis dahin, genießen Sie den Sommer… und ich hoffe, Sie in ein paar Monaten hier wieder zu treffen.