Mit Irene de Andrés und Sofía Gallisá Muriente
Kuratiert von Marina Reyes Franco
In der Ausstellung Vorsicht Stufe / Kopf weg zeigen Irene de Andrés und Sofía Gallisá Muriente eine Auswahl von Arbeiten, die zwischen 2015 und 2017 im engen Dialog entstanden. Sie setzen sich, ausgehend von Erfahrungen im karibischen Staat Puerto Rico, mit der Frage auseinander, wer die Vorstellung des Paradieses konstruiert und wer sie am meisten konsumiert.
Die ehemalige spanische Kolonie Puerto Rico ist seit 1898 karibischer „Besitz“ der Vereinigten Staaten. Einst ein Symbol des amerikanischen Fortschritts, hat Puerto Rico Jahrzehnte des sich verschärfenden wirtschaftlichen Niedergangs erlebt und Schulden in Höhe von 123 Milliarden US-Dollar angehäuft. Seit September 2016 überwacht ein von den USA bestelltes Finanzkontrollgremium die Durchsetzung strenger Sparmaßnahmen, während es zugleich für Steuerparadiesgesetze und die „Besucherökonomie“ als Ausweg aus der Rezession eintritt. In diesem Kontext treiben Irene de Andrés und Sofía Gallisá Muriente gemeinsam ihre Untersuchung der Frage voran, wie kulturelle Differenzen im Rahmen der neuen kolonialen Verhältnisse, die die Tourismusindustrie verkörpert, vermarktet werden. Die Künstlerinnen arbeiten in den Medien Fotografie, Druck, Installation und Video und schaffen einen Remix aus Original- und Quellenmaterial, darunter Fotografien, Kurzdokumentationen, Propaganda- und Urlaubsvideos aus verschiedenen offiziellen und privaten Archiven sowie aus dem Internet.
In Anlehnung an die zeitgenössische urbane Kultur haben die Künstlerinnen für ihre Videos mit einem lokalen Musiker und einem DJ zusammengearbeitet, um Soundlandschaften zu erschaffen, die sich von den üblichen tropischen Narrativen unterscheiden. In ihren Arbeiten werfen beide Künstlerinnen einen Blick auf die postmilitärische Landschaft aufgegebener Basen der US Navy, Monumente, Werbekampagnen, die Industrialisierung in der Mitte des 20. Jahrhunderts und auf Hotelbauten. Entstanden ist diese Ausstellung aufgrund des gemeinsamen Interesses der Künstlerinnen an der Untersuchung und Infragestellung der visuellen Ökonomie des Tourismus und der Repräsentation der Karibik, wie sie für Touristen und Investoren konstruiert wird. Mit verschiedenen Strategien und Methodiken hinterfragen beide Künstlerinnen die Narrative, Bilder und Tropen, die in Archiven und anderer staatlicher Propaganda aufrechterhalten werden, um genau die Mechanismen dieser Perpetuierung kenntlich zu machen. Diese Arbeiten zielen darauf ab, sich vom Blick des Anderen zu befreien; diese Arbeiten sind sich bewusst, auf welche Weise sie betrachtet werden.
Die Kuratorin Marina Reyes Franco ist die erste Stipendiatin des Programms Curators in Residence der KfW Stiftung in Zusammenarbeit mit dem ifa (Institut für Auslandsbeziehungen). Das Programm bietet vielversprechenden aufstrebenden Kurator*innen aus Lateinamerika, Afrika, dem Nahen Osten und Asien die Möglichkeit, drei Monate in Berlin zu verbringen und fördert damit den interkulturellen und den diskursiven Austausch in der Ausstellungorganisation. Das Ziel der Residency ist es, ein kritisches Bewusstsein für postkoloniale Diskurse zu stärken sowie die intellektuelle Auseinandersetzung mit kulturellem Erbe in Bezug auf zeitgenössische Kunst anzuregen. Die Ausstellungen der Stipendiaten werden in der ifa-Galerie Berlin gezeigt. Nach einem offenen Aufruf wurde Marina Reyes Franco von der Jury, bestehend aus: Elena Agudio, Julia Grosse, Marie-Hélène Gutberlet und Alya Sebti, für das Stipendium ausgesucht.