Mit ihren Werken lädt die französisch-algerische Künstlerin Katia Kameli dazu ein, über das eigene Suchen und die eigene Identität nachzudenken. In der ifa-Galerie Berlin präsentiert Kameli erstmalig ihren neuen Film Le Cantique des oiseaux, mit dem sie sich auf eine Übersetzungsreise begeben hat.

Kuratiert von Valerie Chartrain.

Die Ausstellung von Katia Kameli ist inspiriert von der Konferenz der Vögel des sufischen Dichters Farîd-ud-Dîn Attâr, der im Persien des 12. Jahrhunderts lebte. In seinem Epos folgen wir der Initiationsreise von Tausenden Vögeln auf der Suche nach dem mythischen Vogel Simurgh, einer Allegorie für das Göttliche. Nur dreißig Vögel erreichen auf der Reise durch sieben Täler das Ziel und erkennen Simurgh schließlich als ihr eigenes Spiegelbild. Jede Reise ist ein Weg zu uns selbst, scheint der Dichter uns zu sagen.

Die Vögel aus dem allegorischen Gedicht wurden für die Ausstellung Das Hohelied der Vögel /The Canticle of the Birds aus Keramik gefertigt, einer handwerklichen Technik, die sich in zahlreichen Kulturen wiederfindet und symbolhaft auf den Ursprung des Lebens verweist. Die Skulpturen sind gleichzeitig Musikinstrumente und lassen sich als Tonpfeifen (Okarinas) spielen; sie sind in dem neuen Film von Katia Kameli, Le Cantique des oiseaux, zu hören, der in der ifa-Galerie Premiere feiert. Er zeigt Tänzer:innen im Garten von Rayol am französischen Mittelmeer, die je eine Vogelart repräsentieren. Jeder Vogel und somit jede:r Tänzer:in folgt einer eigenen Choreografie und gibt auf charakteristische Weise einen eigenen Klang wieder. Die Tänzer:innen bewegen sich nach der Regie von Youness Anzane und zu Musikkompositionen von Aurélie Sfez.

Katia Kameli „The Canticle of the Birds“ © Victoria Tomaschko

Der Film ist eine Übersetzungsreise, in dem nicht einfach eine Sprache in die andere über-tragen wird, sondern es vermischen sich Traditionen, Geschichten und Kulturen ineinander bereichernder Weise. Die Erzählungen sind verschiedene Ausprägungen ein und derselben hybriden, vielfältig beeinflussten und durchlässigen Ausgangsgeschichte.

Katia Kameli präsentiert ihre ganz eigene Übersetzung des Epos, indem sie sich diverse Erzählelemente in neuen Formen und Kombinationen aneignet, und neuartige musikalische, tänzerische und geografische Ebenen hinzufügt. Auf diese Art vermittelt sie, wie die Suche dieser Vögel nach einer besseren Zukunft auch eine Metapher für das Leben ist:  Sie haben als Gruppe den Weg gemeinsam zurückgelegt und begegnen sich am Ende der Reise wieder. Diese Wiederbegegnung lässt sich als ein Schritt nach vorne verstehen, eine Utopie, die zeigt, was gemeinsam möglich ist.

In der Ausstellung verbinden sich Katia Kamelis Keramikfiguren, Aquarelle, Seidenmalereien, ihre Skizzen und der Film zu einem poetischen Ganzen. Kameli lädt die Besucher:innen ein, sich auf eine innere Reise voller Spiritualität und Schönheit zu begeben, über das eigene Suchen und die eigene Identität nachzudenken. Sind wir denn nicht die Summe all der Geschichten, die vor uns da gewesen sind?

Le Cantique des oiseaux, variation, 2022, UHD-Film, 25 min, Filmstill
© Katia Kameli, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Katia Kameli lebt in Paris und arbeitet mit unterschiedlichen Medien, vorrangig mit Film und Video. Seit Beginn der 2000er Jahre schuf sie ein dichtes, facettenreiches Werk. Französisch-algerisch geprägt, überquert sie Grenzen zwischen verschiedenen Geografien und beleuchtet die toten Winkel der Geschichte. Sie verknüpft zurückliegende Ereignisse miteinander, erneuert Verbindungen, bringt stumme Wortmeldungen zu Gehör und entwirft Gegenerzählungen. Ihre künstlerischen Untersuchungen setzen sich zu einer Vielfalt von Perspektiven zusammen. Sie war für den AWARE-Preis 2022 nominiert und wurde von dem Mondes Nouveaux Programm ausgezeichnet.

Valerie Chartrain, lebt in Berlin und in Paris. Seit 2002 entwickelt Valerie Chartrain kuratorische und diskursive Veranstaltungen sowohl allein als auch im Kollektiv; sie arbeitet mit Künstler:innen, Galerien und anderen Institutionen an der Produktion von Texten, Ausstellungen, Katalogen und Veranstaltungen. Sie ist Co-Chefredakteurin von Petunia, einem feministischen und intersektionalen Magazin für Kunst und Kultur. Sie ist spezialisiert auf die Entwicklung von Kreativstrategien, dabei konzeptualisiert, realisiert und leitet sie Zukunftsprojekte.