Die für ihr interdisziplinäres Werk bekannte brasilianische Künstlerin und Forscherin Camila Sposati zeigt in der ifa-Galerie Berlin den zweiten Teil ihrer ersten Einzelausstellung in Deutschland. Die Ausstellung stellt eine Reise in die komplexen Zusammenhänge von Klang, Natur und die symbiotischen Verflechtungen von Kultur, Geschichte, Wissenschaft und Politik dar.

Eine der faszinierenden Quellen, die Sposatis Arbeiten als Inspiration dienen, ist das anatomische Theater und die elementare Erfahrung des Sezierens von Körpern. Anatomische Theater entstanden zur Zeit der europäischen Renaissance im späten 16. Jahrhundert und waren spezialisierte Hörsäle, die für die Sektion und Obduktion von Leichnamen vor Publikum konzipiert waren. Sie spielten eine zentrale Rolle für Fortschritte der medizinischen Ausbildung und des Wissens über den menschlichen Körper. Für Sposati ist der Akt des Sezierens keine bloße historische Referenz, sondern ein philosophisches Konstrukt, das der physischen Konstruktion des Theaters selbst vorausgeht.

Die Ausstellung besteht aus Exponaten, die aus ihren Recherchen in verschiedenen Regionen und Kulturen hervorgegangen sind. Sie nimmt selbst die Form einer anatomischen Sektion an, indem Sposati Geschichte, Materialien und elementare Kräfte untersucht und freilegt. Die Ausstellung beginnt mit einer Untersuchung von Kristallen, führt dann zur künstlerischen Metamorphose, die durch das ewige Feuer von Derweze inspiriert wurde (ein Krater in Turkmenistan, in dem seit 1971 ununterbrochen Erdgas verbrennt), setzt sich fort in der Anatomie des anatomischen Theaters und findet ihren klanglichen Höhepunkt in der Serie von Instrumenten Phonosophia – einer komplexen künstlerischen Erkundung der tiefgründigen Philosophie des Klangs.

Sposatis Interesse am Wesen des Klangs, dem sie in Phonosophia nachgeht, führt zu einem Erlebnis, das über das bloße Hören und Spüren hinausgeht, da sie Klänge als eine evolutionäre Form der Kommunikation über Generationen hinweg betrachtet. Zentrale Elemente der Ausstellung sind die Windinstrumente aus Keramik und Balata (eine Art Naturkautschuk) aus dem Amazonas-Gebiet. Sie durchlaufen während des Ausstellungszeitraums in Berlin einen Transformationsprozess und werden zu etwas, das sich herkömmlichen kulturellen Kategorisierungen entzieht. Sie sind nicht mehr bloße Instrumente, sondern entwickeln sich zu rätselhaften Gebilden, die aktiv gängige kulturelle Vorstellungen in Frage stellen und die Bedingungen der Begegnung mit dem Betrachter bestimmen.

Grundlegend für Sposatis künstlerische Philosophie ist die zwingende Forderung nach einem Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung von Objekten, insbesondere wenn sie ethnografisch bedeutend sind. Sie ist der Ansicht, dass Objekte nicht der Kontrolle durch die Betrachter:innen unterworfen sein sollten, sondern selbst die Bedingungen ihres Betrachtetwerdens bestimmen. Dieser Perspektivwechsel verleiht den Objekten eine aktive Rolle, indem sie die Betrachter:innen durch verborgene Bedeutungsebenen führen, die im Kontext von Berlin auf einzigartige Weise zum Vorschein gebracht werden. Atem-Stücke lädt die Betrachter:innen dazu ein, das komplexe Zusammenspiel von Elementen, Geschichte und den vielschichtigen menschlichen Erfahrungen mit einem neuen Blick zu sehen.

© Victoria Tomaschko

Camila Sposati ist eine in São Paulo geborene Künstlerin und Forscherin. Sie hat einen Master-Abschluss in Fine Arts vom Goldsmiths College London und lebt derzeit in Wien, wo sie Stipendiatin des PhD-Programms der Akademie der bildenden Künste ist. Ihre Arbeiten wurden unter anderem in der Kunsthalle Wien (2021), Tabakalera, Donostia-San Sebastian (2020), Pivô Arte e Pesquisa, São Paulo (2019), Goethe-Institut São Paulo (2019), BAK – basis voor actuele kunst, Utrecht (2017), 10. Mercosul Biennale, Porto Alegre (2015), CCBB Centro Cultural Banco do Brasil, Rio de Janeiro (2015), 3. Bahia Biennale, Salvador (2014), Musée de la Chasse und de la Nature, Paris (2012) ausgestellt.
Sposati veröffentlichte das Buch Stone Theatre bei Revolver (Berlin, 2016). In ihrer Arbeit untersucht sie Transformations- und Energieprozesse auf mikroskopischer und globaler Ebene. Ihre Methoden ähneln dabei der wissenschaftlichen Forschung. Dabei stellt sie materielle und historische Prozesse einander gegenüber, um das Material in seiner formalen Zeit und seiner Bedeutung zu hinterfragen. Ihre Phonosophia-Instrumente thematisieren die Umkehrbarkeit der Rolle von Objekt und Subjekt, was die Frage aufwirft, wer diese Akteure sind und was ein „Objekt“ ist. Ihre Musikinstrumente legen ein besonderes Augenmerk auf die Bedeutung des Körpers der Musiker:in und des Instruments und darauf, wie diese Körper sich gegenseitig hervorrufen.

Kuratiert von Marcelo Rezende und Bettina Korintenberg.

Der erste Teil der Ausstellung Atem-Stücke wurde vom 13. Mai bis 20. August 2023 in der ifa-Galerie Stuttgart gezeigt.

Mit der Unterstützung des Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS)