Im zweiten Podcast sprechen die Historikerin, Lehrerin und Aktivistin Claudia Andrea Gotta und die Künstlerin Karen Michelsen Castañón über die Textilien des Weberinnen-Kollektivs Thañí/Viene del monte in der Ausstellung La Escucha oder die Winde und insbesondere darüber, wie Textilien und Territorien miteinander verbunden sind.

Englische Übersetzung: JD Pluecker 

Deutsche Übersetzung: Luisa Donnerberg 

Musik: Marcelo Berrini

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K: Willkommen zum zweiten Podcast, in dem wir gemeinsam über die Ausstellung La escucha y los Vientos in der ifa-Galerie in Berlin sprechen. Claudia, heute widmen wir uns den Textilien der Ausstellung, insbesondere denen des Weberinnen-Kollektivs Thañí/Viene del monte. Von den Weberinnen werden die Textilien SILAT genannt,  Botschaften. Im Ausstellungsraum entfalten sie sich wie ausgedehnte Netze. In der Ausstellungsbroschüre ist zu lesen, dass diese Netze von geknüpften Taschen kommen, die auf Quechua llica heißen, und dass mit diesen Taschen bzw. llicas gereist wird, Dinge gesammelt oder aufbewahrt werden und dass sie darüber hinaus eine Anspielung auf feine Spinnennetze sein können. Welche Beziehung besteht zwischen der llica, dieser aus Netzen geknüpften Tasche, und den Gebieten, in denen sie angefertigt wird?

C: Die verknüpften Fasern in diesen Taschen, in diesen llicas, in diesen Textilien, die im alltäglichen Leben auch für etwas anderes benutzt werden, sind von Frauen handgemacht und in einigen Fällen auch von Männern – in manchen Pueblos weben nicht nur die Frauen. In ihre Schuss- und Kettfäden ist ein uraltes Wissen verflochten, ein Wissen, das möglich ist, weil es noch Chaguar gibt, weil es noch Fasern aus dem Urwald gibt. Auch das ist ein Kampf, der gekämpft werden muss. Es ist unmöglich, diese Arbeiten anzufertigen, wenn der Wald abgeholzt ist und es wäre auch nicht nötig, die Taschen herzustellen, die dem unterschiedlichsten Gebrauch dienen, je nach Größe und Träger:in, wenn in den verschiedenen Territorien nicht nach dem gesucht werden kann, mit dem Mutter Erde uns versorgt. Die Taschen der Ausstellung zeugen also von schöpfenden Händen, von sich erneuernden Botschaften, davon, dass sie häufig das Erbe vieler Generationen sind, die nicht nur das Weben, sondern auch eine textile Sprache weitervermitteln, aber auch und vor allem dass die Textilien eine Seinsberechtigung haben, nicht nur als Überbringende von Botschaften, sondern zu einem bestimmten Gebrauch. Wenn der weiße Mann, der sich über alle Ausdrucksformen des Lebens gestellt hat, aufhört, ihre Territorien zu vereinnahmen, werden diese Pueblos – Jäger:innen, Sammler:innen, Fischer:innen (eine Fischerei, die mehr Sammeln oder Jagen ist als Fischen, so wie wir es in unseren Gesellschaften verstehen) – die Textilien weiterhin nutzen können. Ansonsten werden die llicas keine Daseinsberechtigung haben. In den Arbeiten  begegnen wir also einer Gesellschaft, die sich einem hegemonialen Modell widersetzt, die sich einem Territorium im Zusammenleben mit anderen Lebensformen annimmt und die, wenngleich sie gegen das hegemoniale Modell nicht kämpfen kann, auch nicht dagegen kämpfen mag, sondern in Gemeinschaft leben will, auf gemeinschaftlichen Territorien und füreinander einstehend.  

K: Das Weberinnen-Kollektiv Thañí/Viene del monte ist seinerseits Teil des Vereins Lhaka Honhat/Nuestra tierra und kämpft laut der Ausstellungsbroschüre „seit mehr als dreißig Jahren für die Anerkennung des Gemeinschaftseigentums von denjenigen […], die schon immer auf diesem Territorium gelebt haben.“ Das Urteil des Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) zugunsten von Lhaka Honhat im März letzten Jahres ist allseits bekannt. Was bedeutet das Urteil für die Territorien und die Gemeinden, die auf ihnen leben?

C: Zunächst einmal umfasst diese pangemeinschaftliche Organisation, so können wir sie nennen, weil sie sich nicht nur aus einer beachtlichen Anzahl an Gemeinden zusammensetzt – ich glaube, es sind 132 oder 133 –, sie umfasst auch eine bedeutende, weil pluriethnische Gruppe. Sie ist multiethnisch, weil sie fünf indigene Pueblos aus der Provinz Salta im Nordwesten unseres Landes umfasst. Sie umfasst die Pueblonation Wichí, die Pueblonation Qom, die Pueblonation Tapiete, die Chulupí oder Nivaclé und die Chorote. Diese fünf Pueblos, die in jeder ihrer Sprachen ihren eigenen Namen haben plus die Namen, die ihnen von ihren Nachbar:innen gegeben werden (aber unter den hier genannten Namen sind sie bekannt), sie alle sind Teil der Organisation Lhaka Honhat und des emblematischen Falls, der Anfang letzten Jahres mit dem endgültigen Gutachten des IAGMR einen Wendepunkt markiert hat. Nach dem endgültigen Urteil im März 2020, das als Fall 12094 bekannt geworden ist, war der Fall Lhaka Honhat vor dem Interamerikanischen Gerichtshof ein paradigmatisches Ereignis, allerdings wissen wir fast nichts von den konkreten Entwicklungen, weil sich das zu Beginn des großen Stillstandes ereignet hat, den COVID-19 all unseren Lebensbereichen in allen Gebieten dieses Planeten gebracht hat, aber wir sprechen von diesem Kontext. Ich glaube oder besser, ich ziehe es in Betracht, denn es ist vor allem eine Analyse, dass der Fall Lhaka Honhat erfolgreich sein wird, aber noch haben wir die Ergebnisse nicht gesehen, weil wir uns in dieser Lage befinden. Allerdings kommen wir nicht umhin zu denken, dass das unter diesen Umständen ein Einzelfall wäre, denn die Pandemie begünstigt einen kontinuierlich fortschreitenden Beutezug in allen Territorialitäten, die vor langer Zeit von indigenen Pueblos aus dem ganzen Land bewohnt wurden, noch bewohnt werden und deren Rechte unveräußerlich und unstrittig sind. Ich denke, dass das auf ganz Abya Yala zutrifft. Das hat damit zu tun, dass die Bulldozer, Lastwagen, Usurpatoren und Landbesitzenden nicht stillgestanden haben. Sie haben während des ganzen Jahres 2020 nicht aufgehört einzudringen, abzuholzen, zu zerstören, zu unterdrücken und das im Einverständnis mit den lokalen Mächten. Denn sanktioniert wurden die Indigenen, die die Quarantänebestimmungen verletzt haben, wenn sie gemeinsam protestierten oder in die Dörfer gegangen sind, um Beschwerden einzureichen, während die Herren mit Geld und Macht nie sanktioniert werden. Das ist es, was uns wirklich Sorgen macht. Auch wenn der Erfolg von Lhaka Honhat vor dem IAGMR ein Erfolg für alle ist, die Teil dieses Kampfes sind, sollten wir zwar den Triumph immer wieder betonen, aber auch die Realitäten anderer indigener Territorien im Kopf behalten, die sich den Fall Lhaka Honhat zum Vorbild genommen haben, um die eigenen internen Strukturen zu stärken. Denn der Triumph von Lhaka Honhat ist kein Verdienst des IAGMR. Der IAGMR hat nicht mehr als das getan, was er tun sollte. Der Verdienst gebührt der komplexen und wirklich rechtmäßigen Organisation Lhaka Honhat, die nicht nur eine große Anzahl an Referent:innen und Gemeinden vereint, sondern auch die zur Verfügung stehenden Mittel nutzt und über die eigenen Rechte nicht verhandelt. Auch das muss anerkannt werden, innerhalb der eigenen Kriterien der indigenen Politik zu bleiben, die das Gewohnheitsrecht und ein Leben in Harmonie mit anderem Leben umfasst. All diese Elemente haben sie abgewägt, als sie, den Anforderungen des Gesetzes und der hegemonialen Mächte folgend, ihre eigenen Rechte geltend gemacht haben. Das ist es, was willkommen geheißen und als Beispiel genommen werden muss, aber es ist ein Kampf, der in vielen anderen Territorien noch gekämpft werden muss. Denn der Vormarsch derjenigen, die das Leben vergegenständlicht und kommerzialisiert haben, ist in allen Territorialitäten von Abya Yala permanent gegeben. Das sehen wir, wenn wir Territorien durchqueren, die vorher ländlich, voller Leben und Geräusche der Natur waren und heute überzogen sind von Zement und großen Infrastrukturbauten, die alle dazu dienen, die sogenannten natürlichen Ressourcen zu kommerzialisieren. Für uns sind sie Gemeingut und ein Geschenk der Mutter Erde, das sie uns gegeben hat, damit wir gut leben können.

K: Danke, Claudia. Könntest du uns ein paar geschichtliche Hintergründe über den rechtlichen Prozess der Anerkennung von indigenem Gemeinschaftseigentum für speziell diese Territorien geben? 

C: Ja klar. Damit unsere Zuhörer:innen ein vielleicht vollständigeres Bild bekommen, müssen wir erwähnen, dass die Region genauso wie ganz Abya Yala schon immer von diesen Pueblos bewohnt war, seit längst vergessenen Zeiten. Was seit Anfang des 20. Jahrhunderts verzeichnet wird, insbesondere seit den 1910ern, ist die Ankunft einer großen Anzahl an Criollos [Anm.: Personen europäischer Herkunft] in der Region, die beginnen, ihre Produktionsmodelle durchzusetzen. Das erzeugt Konflikte in ganz Abya Yala, einige von ihnen entstehen bereits während der Invasion, andere entstehen erst wesentlich später und brauchen Jahrzehnte, um sichtbar zu werden, so wie in unserem Land. Ich glaube 1966, jedenfalls in den 1960ern, werden die ersten indigenen Reservate in dieser und in vielen anderen Provinzen geschaffen. Dieser Prozess sollte bekannt sein, denn der Staat fängt an, die Konflikte zu erfassen, selbstverständlich in einem von Kolonialismus und Rassismus verseuchten Maß, aber er kann sie nicht ignorieren und muss handeln. Angesichts dieser Entwicklungen und dem criollo-indigenen Konflikt fängt der Staat in den 60ern an, indigene Reservate zu schaffen. Erst Anfang der 70er wird eines der Grundstücke, die in den Konflikt involviert sind, der unter dem Namen der indigenen Komission Lhaka Honhat bekannt ist, das Grundstück 55, per Dekret zum indigenen Reservat erklärt. Das ist etwas, das beachtet werden muss. Den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte erreicht das im Jahr 1998. Wir müssen bedenken, dass das Grundstück 55 bereits seit den 70ern indigenes Reservat ist. Der Konflikt umfasst die Grundstücke 55 und 14. Gesetzgebungen existieren – das muss anerkannt werden, wir können nicht behaupten, dass die Staaten keine Gesetze geschaffen haben –, aber das Problem ist, dass den Gesetzen nicht Folge geleistet wird. In den 80ern findet ein erstes großes Treffen in Misión La Paz mit 27 indigenen Anführer:innen statt, denen klar wird, dass die stärker werdende Präsenz der Criollos mit ihrer gefräßigen Produktionsweise besorgniserregend ist. Höchst besorgniserregend, denn sie merken, wie ihr Territorium beschädigt wird, wie die harmonische Beziehung, die sie zu Mutter Erde bewahren wollen, zunehmend bedroht ist. Daher geben sie zu verstehen, dass sie in jedem Fall eine Lösung vonseiten des Staates und dass sie auf keinen Fall eine Unterteilung der Grundstücke wollen, da sie das Konzept von Privatbesitz nicht kennen. Das ist wichtig, denn so legen sie es dar. Sie sagen, dass sie in einer Beziehung der harmonischen Abhängigkeit mit der Natur verwurzelt sind und dass sie andererseits das Konzept von Privatbesitz nicht kennen. Genau so: mit Betonung auf dem Wort Konzept. Sie akzeptieren, dass es existiert, aber in ihrer Kultur ist es nicht durchführbar. Der Konflikt besteht aus verschiedenen Momenten, nationale und regionale Regierungen durchlaufen verschiedene Haltungen, das sollten wir im Kopf behalten, denn der Konflikt befindet sich nicht außerhalb der politischen Wandlungen des Landes. Im Jahr 1991 also und mit vielen zurückliegenden Problemen – ihre Chancen an einen Ort zu gelangen, wo sie Gehör finden, werden unterminiert – erreichen sie schlussendlich, dass die Provinzregierung durch das Vorlegen von drei Karten die Lage einschätzt, drei Karten, die sie selbst angefertigt haben und die das Ergebnis einer gemeinsamen Aktion der bedeutendsten Gemeinschaften sind. Das geht mit einer Volkszählung der fünf großen Ethnien Hand in Hand, die zeigt, dass sie den Criollos zahlenmäßig überlegen sind. Aber dann gibt es einen Regierungswechsel. Fünf Tage vor dem Amtsantritt der neuen nationalen Regierung gibt der Gouverneur von Salta höchstpersönlich bekannt, dass er den Gemeinschaften die Grundstücke 55 und 14 überlässt und dass er die Unternehmungen der Criollos unterbinden wird. Dieser Prozess wird gestört, weil der Gouverneur in Opposition zur neuen nationalen Regierung steht. Darauf hinzuweisen ist wichtig, weil so klar wird, dass es verschiedene Haltungen innerhalb der traditionellen Politik gegenüber den unbestreitbaren Forderungen der indigenen Politik gibt. Im Jahr 1992 dann, mit all dem Aufbrausen der Fünfhundertjahrfeier, entsteht die komplexe, solide und multiethnische Organisation Lhaka Honhat, was „unsere Erde“ heißt. Da geht es also nicht nur um die definitive Übertragung dieser beiden Grundstücke als Gemeinschaftseigentum, sondern auch darum, die Produktionsweise anzuprangern, von der die Mutter Erde so ausgeplündert wird, bei der der Markt und das Kapital den Wald ausbluten lassen. Es gibt also nicht nur die Forderung nach den Grundstücken, auch das wahllose Abholzen der Wälder, die Drahtzäune und das Verschwinden der einheimischen Fauna werden angeklagt und all das erreicht die Ohren verschiedener rechtlicher Instanzen. 2012 gibt es eine neue Forderung, die diesmal auf georeferenzierten Karten beruht und bei der Lhaka Honhat von einer Menge nationaler und internationaler Vereinigungen begleitet wird. Es ist also eine grenzenüberschreitende Angelegenheit. Und so fängt IAGMRschließlich an, Antworten zu geben. Die Antworten wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen 1998 und 2020 gegeben. In diesen 22 Konfliktjahren gab es Momente, in denen sich die Konfliktparteien sozusagen freundschaftlich treffen konnten, das hat die internationale Einrichtung ermöglicht, dennoch hat es 22 Jahre bis zum endgültigen Urteil gedauert. Bereits 2012 hat der IAGMR einen Sachbericht veröffentlicht, der alle vom argentinischen Staat verletzten Rechte aufführt und ihn auffordert, die Rechte der fünf Lhaka Honhat-Pueblos an mehr als 400.000 Hektar Land anzuerkennen. Außerdem gibt sie dem argentinischen Staat zu verstehen, dass er die Abholzung und die Drahtzäune, die das Gebiet durchziehen nicht weiter zulassen darf und fordert ihn auf, die Zäune zu entfernen und auf jede Art von Arbeiten in dem Gebiet zu verzichten. Erinnern wir uns, all das hat seine Anfänge in dem Versuch, eine internationale Brücke zu bauen ohne eine vorherige freie und ausführliche Rücksprache mit den Pueblos. Diese Rücksprache wird vom Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation und von vielen nationalen Pakten und Gesetzgebungen von den Regierungen gefordert, und zwar vor jeder Art von Arbeiten oder Projekten, die in den als indigene Territorien anerkannten Gebieten getätigt werden sollen. 

K: Ich denke, es ist wichtig zu ergänzen, dass diese Brücke im Rahmen des Mercosur gebaut werden sollte. 

C: Ja, klar. 

K: Es ist auch sehr symbolisch für das Wirtschaftssystem, auf das du dich beziehst und das diese Territorien noch immer zerstört. 

C: Ja, sehr. Erinnern wir uns, was mitten in der Regierungszeit von Evo Morales passiert ist, lange vor dem Putsch von Áñez: die Straße, die das indigene Territorium, den Nationalpark Isidro Sécure, durchqueren soll. Bekannt als Tipnis-Konflikt: der Kapitalismus setzt sich durch gegen die bereits anerkannten Rechte der Pueblos, denn das Territorium erfährt große Unterstützung von der dann schon Plurinationalen Republik Bolivien. Die Nachbarregierung in Brasilien will eine Straße, die das Territorium durchquert, weil sie einen Zugang zum Pazifik sucht, obwohl den noch nicht einmal Bolivien selbst hat. In unserem Fall ist es das Gleiche. Die internationale Brücke steht im Einklang mit dem hegemonialen Modell, für das sich auch der Mercosur verbürgt, aber vergessen wir nicht, dass das Territorum von Lhaka Honhat die Grenze zu Bolivien und Paraguay umfasst. Die Brücke hat also unser Land mit diesen zwei Nachbarländern verbunden, aber mithilfe eines Strichs durch unser Territorium, der im Einklang mit Markt und Kapital steht. Das Gleiche passiert, wenn wir sagen, dass der Fluss keine Wasserstraße ist, dass er keine Autobahn aus Wasser ist, um von Booten befahren zu werden. Diese Territorien sind Territorien des Lebens und in diesem Rahmen hat Lhaka Honhat sie verteidigt. Auch das müssen wir festhalten, denn momentan befinden wir uns in einem großen Kampf um die Konsolidierung von Gesetzen wie dem 26.160, das Zwangsräumungen verbietet und gleichzeitig alle Gemeinden ermutigt, sich in ein Register einzutragen und einen rechtlichen Status zu erlangen, der es ihnen erlaubt, innerhalb eines bestimmten Rahmens von Möglichkeiten zu handeln und vor Gericht zu ziehen, wenn der Staat sie nicht respektiert. Außerdem haben wir Projekte, einige von indigenen Organisationen wie der Organización de Pueblos Indígenas del Noroeste Argentino (OPINOA), die 2019 mit unserer Unterstützung vor der ADPH, der Permanenten Versammlung für Menschenrechte, ein Projekt präsentiert hat, das für die Gemeinden selbst gedacht ist und im Einklang mit den Rechten der Mutter Erde steht. Unabhängig davon, welches Projekt es wird, das indigene Gemeinschaftseigentumsrecht ist noch nicht verhandelt worden und, soweit wir das unter diesen Umständen vonseiten des Staates sehen können, weit davon entfernt, verkündet zu werden. Und wenn ich von Umständen spreche, beziehe ich mich auf zwei Dinge. Das eine betrifft die Pandemie, von der wir wissen, dass sie den Rhythmus von allem verändert hat, das andere das Wahljahr. In diesem Wahljahr sind die Dinge von bestimmten Themen beinflusst, die die Kandidaten und die Amtsinhaber dazu bringen, auf der Hut zu sein und in jedem einzelnen ihrer Provinzterritorien die Allianzen mit den hegemonialen Kräften aufrechtzuerhalten. Denn wir wissen, dass diese Territorialitäten von den großen, hegemonialen ökonomischen Kräften belagert werden, zusätzlich zu allem, was der rassistische, kolonialistische Blick impliziert. 

K: Claudia, lass uns auf die Textilien des Thañí-Kollektivs in der Ausstellung zurückkommen und den Podcast vielleicht mit einer Annäherung an das abschließen, was die Weberinnen uns über ihre Beziehung zum Fluss Pilcomayo und über die Technologie und die Philosophie ihrer Webstücke zeigen. In der Ausstellungsbroschüre, in der wir Informationen über die llicas finden, ist ein Gedicht von Julio Pietrafaccia abgedruckt: „Der Fluss ist ein Flüstern, das ohne zu Schweigen spricht. Eine Stimme, die eines ums andere Mal ihre Geschichte wiederholt.“ Was für Gefühle und Gedanken löst dieses Gedicht in uns aus? 

C: Wir können uns vorstellen, dass die Textilien, die auf keinen Fall durch einen Blick objektiviert werden dürfen, der sie bloß als Teil einer Ausstellung oder als eines von vielen Objekten in einem Museum wahrnimmt, genauso wie der Fluss, ein ums andere Mal ihre Geschichten wiederholen. Diese Wiederholungen haben auch mit einer fortwährenden Erneuerung der lebendigen Erinnerung zu tun, deren Trägerinnen diese Frauen sind. Aber in diesem Tun, das von einer zirkulären Bewegung begleitet ist, bei der die Hände die eigentlichen Werkzeuge sind und es keine Technologie außerhalb des Körpers gibt, übermitteln sie uns klare Botschaften, die uns dazu bringen sollen, über die Botschaften hinaus zu denken in diesem Raum, den wir mithilfe unserer Begegnungen zu durchqueren versuchen, das ist der Wald und dort ist der Pilcomayo Leben, ist fließendes Wasser, das die Territorien durchquert und die Geschichte des Pueblos weiterträgt. Ich glaube, dass das eines der zentralen Themen ist und der Fluss, der die Erneuerung der Lebenszyklen ermöglicht, fließt auch in den fortlaufenden, kreisförmigen Geflechten der Textilien und Webstücke. Die Schuss- und Kettfäden, die mehr sind als das, was wir sehen, müssen wiedergefunden werden. Es gibt einen soziokulturellen Pfad, der angesichts der von den Wichí-Frauen übernommenen und bewahrten Rolle möglich ist. Das ist anstrengend für uns, denn unser Blick ist kolonialisiert. Auch das Weibliche als Konzept oder Analysekategorie ist kolonialisiert, darauf müssen wir bestehen. Einen Blick erlangen, der von den Ausstellungsstücken in Frage gestellt wird, die viel mehr als das sind. Sie sind Übermittlerinnen von Botschaften und laden uns zugleich dazu ein, von einem anderen Ort aus zu denken. 

K: Danke, Claudia. Vielleicht können wir noch über das Wasserproblem sprechen, denn ich möchte nicht, dass der Eindruck bleibt, dass wir Fluss und Wasser idealisieren, denn du hast mir einige Male von den Kämpfen ums Wasser in diesen Territorien erzählt. 

C: Klar, weil dieser Fluss durch eine hegemoniale Produktionsweise vergegenständlicht worden ist und es heute, trotz allem, was der Pilcomayo dort bedeutet, für die Mehrheit der Gemeinden fast unmöglich ist, Zugang zu sicherem Trinkwasser zu bekommen. Denn nicht nur der Fluss hat sich in eine von Markt und Kapital eingeengte Wasserstraße verwandelt, auch die Territorien sind von einer Produktionsweise heimgesucht worden, die Boden und Wasser verseucht. Das ist wirklich problematisch, wir sprechen hier von einem unveräußerlichen Recht. Der Zugang zu Wasser ist ein grundlegendes Menschenrecht für jede Gemeinschaft. 

K: So ist es. Ich denke, dass wir noch viel länger darüber sprechen könnten, aber im Rahmen dieses Podcasts können wir uns nur einigen Aspekten mit viel Respekt nähern.

C: Ja. Ich denke, dass der Besuch einer Ausstellung wie La escucha y los Vientos möglich macht, in den Stimmen und den von Frauenhänden erschaffenen Gegenständen eine Botschaft zu hören, die insofern wichtig und dringend ist, als sie von Geschichten des Lebens und von einem kulturellen Bestand berichtet, der sich im täglichen Leben auf eine uralte und sehr starke Beziehung zur Mutter Natur gründet. Eine Botschaft, die heutzutage aber gleichzeitig eine Strategie des Widerstandes und des Kampfes ist und von der uns das Radiokollektiv La Voz Indígena berichtet, indem es von Held:innentaten erzählt, die diese Frauen zusammen mit ihren Brüdern und Kindern in den letzten drei Jahrzehnten vollbracht haben und die in der jüngeren Geschichte meines Landes sehr geschätzt werden als Widerstand gegen Abholzung, Plünderung der Territorien und die Auferlegung einer Lebensweise, die sie nicht wollen. 

K: So ist es. In der Ausstellung gibt es eine klingende Landschaft, die bloß einen Bruchteil der Klänge dieser Territorien wiedergibt. Und das Radiokollektiv La Voz Indígena hat eine Auswahl aus Kapiteln oder Sendungen über Erinnerungsworkshops getroffen, die von Frauen eben jenes Radiokollektivs vorangebracht wurden, auf das auch du dich beziehst. 

C: Ja. Ich habe dem aufmerksam zugehört. Ich glaube, das sind sehr klare und überzeugende Stimmen des Widerstandes dieses Pueblos. An einer Stelle taucht die Idee auf, dass der Wald Leben ist, dass der Fluss Leben ist. Das sind keine Banalitäten, da sind politische, kosmogonische und epistemologische Statements in diesen Stimmen verinnerlicht. Sie bringen uns wirklich andere Dinge bei, die wir so nicht in Büchern finden. 

K: So ist es, Claudia. Tausend Dank, dass du da warst. Wir sehen und hören uns ganz bald. 

C: Es ist wie immer eine Freude, mit dir in einen Dialog zu treten und gleichzeitig Überlegungen, Gefühle und Gedanken weitergeben zu können, die uns mobilisieren und die dazu einladen, uns selbst zu dekolonisieren. Denn wir alle stecken inmitten dieser Aufgabe, noch keiner hat sie abgeschlossen, sie ist eine große Herausforderung. Nicht wahr?

K: So ist es, Claudia. Dann verabschieden wir uns für heute.

C: Tschüss, bis bald.