Was bedeutet Teilen heute und unter welchen Bedingungen findet es statt? Was sind die Räume und Orte von Gemeinschaft und wie können wir sie pflegen und erneuern? Von welchen Konzepten von Gemeinschaft und kollektivem Wissen können wir im europäischen Kontext lernen?
Das Recherche- und Ausstellungsprojekt des ifa in Kooperation mit dem Artspace NZ Auckland, Neuseeland führt künstlerische und soziologische Positionen aus der pazifischen Region mit europäischen Sichtweisen zusammen und entwirft vielfältige Perspektiven auf Praxen des Teilens, kollektive Arbeitsweisen und Wissenssysteme.
So wie wir in denselben Himmel blicken, teilen wir buchstäblich dieselbe Luft. Die europäische Form des Händedrucks, den man als gegenseitige Erklärung der Solidarität verstehen kann, wird hier durch den Hongi ersetzt – der Brauch, sich mit den Nasen zu berühren–, der sich auf den Austausch der geteilten Atemluft bezieht. Die Erzählung der Maori über die Schöpfungsgeschichte – die mit der Beziehung der Eltern Ranginui, dem Vater Himmel, und Papatuanuku, der Erde, beginnt–, öffnet den Raum zwischen ihnen in einem sich endlos weiterdrehenden Kreislauf des kreativen Potentials. Die Komplexitäten des Menschseins werden aus der Vielfalt der Nachkommen dieses ursprünglichen Paars erklärt. Das kulturelle Verständnis des whakapapa – der Genealogie – das wörtlich übersetzt bedeutet, „Schichten auf der Erde übereinander zu lagern”, zeigt sich in sozioökonomischer Hinsicht in spezifischen kulturellen Aspekten des Grundeigentums, Besitzes und der Struktur des öffentlichen Raums.
Diese kollaborative Brücke zwischen dem Artspace und den ifa-Galerien beabsichtigt den Akt des ‚Teilens’ zu reaktivieren. Im ersten Kapitel fungierte die ifa-Galerie Berlin als Open Space und Radiostation des transdisziplinären Kollektivs KUNCI aus Yogyakarta. In der Ausstellung, die in Berlin, Stuttgart, Auckland und weiteren Stationen zu sehen sein wird, werden neu geschaffene Werke von Lonnie Hutchinson, Daniel Maier-Reimer, Peter Robinson und Kalisolaite ’Uhila sowie neuere Arbeiten von Gabriel Rosell- Santillán und Natalie Robertson umfassen.
Kurator:innen: Elke aus dem Moore, Misan Adnan Yildiz
Künstler:innen: Lonnie Hutchinson, KUNCI, Daniel Maier-Reimer, Syafiatudina, Natalie Robertson, Peter Robinson, Gabriel Rossell-Santillán, Kalisolaite ’Uhila
Veranstaltungen
Mittwoch, 1. Juni 2016, 19:00
Das Ende der zeitgenössischen Kunst (wie wir sie kannten)
Vortrag Marion von Osten, Berlin
Heutzutage neue Organisationsformen konstituieren neue soziale Bereiche, die durch die Einbindung eines nicht-kunstaffinen Publikums und lokaler Nachbarn auch als Räume der post-identitären Aktion, kollektiven Produktion und Verbreitung fungieren können. Des Weiteren beinhaltet diese Methode ein großes Spektrum an ästhetischen, sozialen und politischen Praktiken, die nicht in einem Kunstwerk zusammengefasst und als ein Produkt ausgestellt und verkauft werden können.
Wir werden untersuchen, ob diese neuen Organisationen auf der einen Seite aus einem post-kolonialen, globalisierten Zustand entstehen und ob sie auf der anderen Seite eine Abweichung von dominanten Feldern, Disziplinen und Praktiken ausdrücken. Dadurch werden wir mit einem breiteren sozialen Raum interagieren und teilweise Unabhängigkeit von zeitgenössischer Kunst (wie wir sie kannten) erlangen.
Freitag, 3. Juni 2016, 16:00
Kuratoren- und Künstlergespräch mit Daniel Maier-Reimer und Syafiatudina (KUNCI), Peter Robinson, Gabriel Rosell-Santillán und Kalisolaite ’Uhila und den Kuratoren der Ausstellung Elke aus dem Moore (ifa) und Misan Adnan Yildiz (Artspace NZ Auckland).
Freitag, 8. Juli 2016, 19:00
Shared Experiences of some Micro-Histories Teilen: Mit und Gegen und Für. Ein Kommentiertes Filmprogramm von Madeleine Bernstorff, ZK/U Moabit
Das Filmprogramm konfrontiert zwei Ebenen der geteilten Erfahrung: zum einen die filmische Darstellung von Ritualen aus dem Mittelmeerraum und deren gemeinschaftliche Sozialität, die die Filmemacherin Cecilia Mangini auf immersiv-musikalische Weise Anfang der 1960er Jahre gefilmt hat. Zum anderen mit zwei Filmen, die sehr eigenwillige Versuche unternehmen, das Wissen von und die politische Aktion gegen Entrechtungen im anti(neo-)kolonialen Kontext zu teilen und zu vermitteln. Mit einem kleinen Exkurs zur politischen Kulturanthropologie Ernesto de Martinos, mit dem Cecilia Mangini zusammenarbeitete.
Radio KUNCI @ ifa- Galerie Berlin – Open Space
Zum Auftakt von „Politik des Teilens – Über kollektives Wissen“ teilt die ifa-Galerie Berlin ihren Raum mit dem transdisziplinären Kollektiv KUNCI Cultural Studies Center aus Yogyakarta. In einem 4-wöchigen Rechercheprojekt verwandelt KUNCI den Galerieraum in eine temporäre Radiostation, in der die indonesische Praxis des „Numpang“ als eine Politik des Teilens von Raum, Ort und Zeit kollektiv befragt wird. Der Begriff „Numpang“ bezieht sich auf räumliche Positionierungen und alltägliche soziale Interaktionen, die das Einverständnis anderer einfordern. Ob Mitfahrgelegenheiten, temporäre Unterkunft oder die Besetzung des öffentlichen Raumes: welche Werte werden ausgetauscht? Wie werden Verluste und Profite definiert und Vorstellungen von Grundeigentum problematisiert? Und inwiefern untergräbt „Numpang“ das Verhältnis von Individualität und Kollektivität?
Lokale und internationale Akteure und Initiativen sind eingeladen, ihre Perspektiven auf das Teilen in unterschiedlichen geopolitischen Situationen zu verhandeln. Radio KUNCI sendet Beiträge zu wöchentlichen Themenschwerpunkten.
KUNCI Cultural Studies Center arbeitet als unabhängiges, transdisziplinäres Kollektiv an der Schnittstelle von Theorie und Praxis. Seit seiner Gründung im Jahr 1999 in Yogyakarta, Indonesien, widmet sich KUNCI der Erforschung, Produktion und Verbreitung von kritischem Wissen – durch Publikationen, disziplinübergreifende Begegnungen, Recherchen, künstlerische Interventionen und pädagogische Praxis.
Mitglieder: Antariksa, Brigitta Isabella, Ferdiansyah Thajib, Nuraini Juliastuti, Syafiatudina, Hayyi Qoyyumi, Verry Handayani, Bagus Anggoro, Fiky Daulay, Gatari Suryakusuma u.a.
Programm
14. April – 14. Mai 2016
Sich eine Heimat fern der Heimat schaffen
Wird eure Heimat auch zu unserer Heimat werden? Wie schafft man überhaupt ein Gefühl von Zugehörigkeit an einem Ort, der einem nicht gehört? Was sind die Grenzen des „Numpang“? Worin liegt der Unterschied zwischen seinem Gebrauch und seinem Missbrauch? Wie machen Menschen, die in demselben Raum leben, diesen Raum lebendig?
Donnerstag, 14. April 2016, 19:00
Radio KUNCI stellt sich vor. Safiatudina (KUNCI) im Gespräch mit Philip Horst, Zentrum für Urbanistik (ZK/U) und Initiative Flüchtlinge Willkommen.
Moderation: Elke aus dem Moore
Die Öffentlichkeit des Raumteilens
Wie kann die gemeinsame Nutzung des Raums zu einer gemeinschaftlichen Organisation von Ressourcen und Grund und Boden führen? Wie verändern sich durch „Numpang“ Vorstellungen von Eigentum und Gemeinnutzung? Wie lässt sich die Aneignung der gemeinschaftlichen, kreativen Nutzung von Raum als Wert auf dem Immobilienmarkt verhindern?
Donnerstag, 21. April 2016, 19:00
Ferdiansyah Thajib (KUNCI) im Gespräch mit Alex Head, Wasteland Twinning Network.
Studium des Raumteilens
Wie kann „Numpang“ eine Situation für das Studium schaffen? Welche Werte werden in dieser Interaktion ausgetauscht? Wie lässt sich die Geschichte des „Numpang“ in der zeitgenössischen Kunst kontextualisieren? Wie kann man eine Situation des „Numpang“ wieder verlassen?
Dienstag, 26. April 2016. 19:00
Nuraini Juliastuti (KUNCI) im Gespräch mit Annette Krauss, Künstlerin und Hyunju Chung, Künstlerin.
Numpang als Politik des geteilten Raums
Welche alternativen politischen und ökonomischen Formen werden durch die Praxis des „Numpang“ und die gemeinschaftliche Nutzung von Raum geschaffen? Welche Bedeutungen und Werte können dieser räumlichen Praxis beigemessen werden? Welche neue Formen von Machtbeziehungen entstehen in dieser Situation?
Donnerstag, 12. Mai 2016, 19:00
Syafiatudina (KUNCI) im Gespräch mit AbdouMaliq Simone, Stadtforscher.
Zu teilen bedeutet sich sowohl mit Orten einer Stadt zu beschäftigen, als auch mit den Menschen, die sie bewohnen. AbdouMaliq Simone arbeitet derzeit als Forscher am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften, ist Gastprofessor für Soziologie am Goldsmith College der Universität London, dem African Center for Cities der Universität Kapstadt, sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter des Rujak Center for Urban Studies und der Universität Tarumanagara in Jakarta. Er ist international durch seine Forschung und praktische Arbeit zu sogenannten „alternativen Modernen“ des globalen Südens bekannt.
Seine Arbeit und Lehre gelten als große Inspiration für die eigenen Ideen und Projekte von KUNCI über urbane Räume und Strategien. „Seine Werke helfen dabei, Konzepte von Entwicklung neu zu denken. Entwicklung sollte sich auf Menschen beziehen und es gilt herauszufinden, wie eine Stadt wachsen kann, indem sie sich an die Bewegungen und Ansammlungen ihrer Bewohner:innen anpasst“, so lautet es von KUNCI.
AbdouMaliq Simones Text „People as Infrastructure“ wird derzeit im open space der ifa-Galerie Berlin ausgestellt. Das KUNCI Kollektiv vergleicht diesen Text mit dem Prinzip des „Numpang“ um neue Perspektiven des Raum-Teilens zu schaffen. „In unseren aktuellen urbanen Kontexten bezieht sich „Numpang“ auf unterschiedliche Arten, funktionierende Infrastrukturen zu schaffen, in Zeiten von Immobilienkrisen, ökonomischen Problemen und etablierten Vorschriften und Regelungen des Staates, die den Bedürfnissen der Bürger:innen nicht gerecht werden“, so erklärt Syafiatudina von KUNCI, Kuratorin des open space.