„Shake off the chains of too constricted space.
 He who has burst from all dimension’s bonds 
 Ranges through all directions, like the sky.
 The rose’s scent by parting from the rose.“ 

Muhammad Iqbal

Mit Zainab Andalibe, Kenza Benamour, Hicham Berrada, Mohammed Laouli, Abdessamad El Montassir, Anna Raimondo, Leila Sadel und Anike Joyce Sadiq.

Es ist das visuell Wahrnehmbare, das heute maßgeblich die Vorstellung von der uns umgebenden Welt bestimmt. Unsere Gesellschaft ist geprägt von einem unaufhörlichen Bilderstrom. Soziale Netzwerke diktieren die Gesetze der Information, indem sie im Sekundentakt visuelle Codes erzeugen, die unmittelbar auf Instagram oder Facebook veröffentlicht werden.

Infolge der Konzentration auf das Visuelle ist alles Unmanifestierte, also all das, was nicht in Erscheinung tritt und sich der visuellen Sinneswahrnehmung entzieht, aus der kollektiven Vorstellung verbannt worden: Die Dimension des Spirituellen hat hierdurch für unsere Belange an Bedeutung verloren. Indem der Westen seine „universellen“ Codes und Standards durchsetzte, wies er dem Unmanifestierten eine untergeordnete Wichtigkeit zu. Doch einhergehend mit einem neuerlich aufkommenden Bedürfnis nach Spiritualität werden in den westlichen Gesellschaften nun vielfältige Versuche unternommen, diesen Bereich der möglichen Erfahrung wieder in den Alltag zu integrieren. 

Der Blick auf Beispiele des afrikanischen Kontinents zeigt, dass der Dialog zwischen der spirituellen und der materiellen Dimension zuweilen kontrovers geführt, jedoch nie unterbrochen wurde. Die Herausforderung hierbei ist, diese Koexistenz in eine dynamische Kontinuität zu übertragen, ohne sich in eine überholte, traditionalistische Vision eines (oft selbst-)exotisierten Afrikas verstricken zu lassen. In seinem Essay Reinventing African Modernity bestärkt Blondin Cissé, an verloren gegangene Traditionen anzuknüpfen: „Es geht nicht länger um die Frage, ob man sich dem Dilemma zwischen dem Selbst und dem Anderen hingeben möchte oder darum, ob man dem Konzept einer erobernden und entfremdenden westlichen Moderne zustimmt oder nicht, sondern darum, eine wirkliche Emanzipationsstrategie zu verfolgen [….].“ Diese Strategie entfaltet sich durch die Wiederaneignung spiritueller Traditionen und deren Einbindung in zeitgenössische Realitäten, um so das Sichtbare und das Unsichtbare wieder zu vereinen. 

Die Ausstellung Invisible lädt dazu ein, die Grenzen des Sichtbaren wieder miteinzubeziehen. Die gezeigten künstlerischen Strategien greifen auf unterschiedliche Weise das Unmanifestierte spiritueller Dimensionen auf, indem sie sich mit Ritualen, Praktiken und Mythen auseinandersetzen, die im Alltag der Künstler*innen verankert sind. 

So schafft das Kunst- und Forschungsprojekt Attokoussy (Leila Sadel, Zainab Andalibe, Mohammed Laouli und Abdessamad El Montassir) in Zusammenarbeit mit Le Cube (Rabat) in seinen Arbeiten Möglichkeitsräume zur Reflexion und Neuinterpretation marokkanischer Riten und Glaubensformen.

Anna Raimondo lenkt unsere Aufmerksamkeit auf das Meer als einen Ort der Überfahrt und als Metapher für die Begegnung nebeneinander existierender Kulturen. Ihre Fiktionen verbinden alltägliche Rituale, Träume und religiöse Darstellungen, die sich auf das Meer und seine Geheimnisse beziehen.

Kenza Benamour geht in ihrer Serie Reconciliation Alltagsritualen nach und hinterfragt die „spirituelle Amnesie“ zeitgenössischer Gesellschaften. In dem Diptychon vereint sie sakrale und profane Erfahrungen, indem sie die spirituelle Bedeutung herausarbeitet, welche diese beiden Arten des Erlebens trotz der scheinbar trennenden kulturellen Konstruktionen miteinander verbindet.

Hicham Berrada macht die kaum sichtbaren Bewegungen von magnetischen Blumen zu einem surrealen Erlebnis: Die anorganischen Blumen in dem Film Les Fleurs bestehen aus Eisenpartikeln, die in einer Flüssigkeit ein magnetisches Feld formen. Berrada betrachtet Blumen als Metapher für Leid und Ausdauer – sie vervielfältigen sich, ohne zu kämpfen und verschwinden, ohne sich zu beschweren. Diese Fähigkeiten der Natur, die Berrada in seinem Video simuliert, könnten auch als anthropologische Analogie verstanden werden.

In Anike Joyce Sadiqs You Never Look at Me From the Place From Which I See You wird der/die Betrachter*in zu einem integralen Bestandteil der Installation. Das „Eintauchen“ in ihr räumliches Gefüge macht es unmöglich, die Arbeit in ihrer Gesamtheit wahrzunehmen, da die unmittelbare Bezugnahme zu anderen Betrachter*innen verwehrt bleibt. Sadiq verbindet hier unterschiedliche Perspektiven miteinander und inszeniert die Gleichzeitigkeit von Präsenz und Abwesenheit.

Auf vielfältige Weise untersuchen die in der Ausstellung Invisible gezeigten Arbeiten die Wahrnehmung und Sichtbarkeit jener Prozesse, die intuitives Wissen aufspüren und Beziehungen zum Unmanifestierten aufzeigen.

Kuratiert von Alya Sebti

Kuratorische Assistenz: Nikola Hartl

Mit Unterstützung von