›(er-)schrecken‹ © ifa-Galerie

mit:

Shirley Barenholz
Siddiq Barmak
Kinneret Chaya Boosany
Sharmeen Obaid Chinoy
Elmar Fischer
Avi Mograbi
Kerstin Nickig
Christian Petzold
Ed Robbins
Paul Schwarz
Nava Semel

Anhand ausgewählter Beispiele und schlaglichtartiger Ausschnitte spricht die Projektwoche der ifa-Galerie Berlin unterschiedliche Aspekte des Terrors und ›(er-)schreckens‹ an und lädt zu einer offenen wie auch vertiefenden Auseinanderetzung mit dem Phänomen Terror ein. Sie will Anstoß geben, über die heutige Zeit und ihre politischen Entwicklungen nachzudenken und verdeutlichen, dass Terror – aus welchen Motiven auch immer – kein Mittel zur Lösung von politischen und gesellschaftlichen Konflikten ist und nie sein wird.

Ausstellung

„Open Eye – Open l“
Multi-Media Installation von Shirley Barenholz, Kinneret Chaya Boosany und Nava Semel

„Open Eye – Open I“ ist ein Multimedia-Installation, die unterstreicht, dass es möglich ist, eine bedrückende Vergangenheit mit Hilfe der Kunst in positive Energie und emotionale Freiheit zu verwandeln. Die Arbeit von Shirley Barenholz zeigt den Rehabilitationsprozess von Kinneret Chaya Boosany, einer jungen israelischen Frau, die schwerverletzt einen Bombenanschlag überlebte, der am 3o. März 2002 in dem Cafe „My Coffeeshop“ in Tel Aviv von einem Selbstmordattentäter verübt worden war.

Shirley Barenholz verfolgt mit der Kamera den langwierigen und schmerzhaften Prozess der Genesung von Kinneret Chaya Boosany. Sie begann mit den Aufnahmen im November 2002 und führt die Dokumentation bis heute fort. Die Fotodokumentation zeigt nicht nur den intensiven Kampf der verzweifelten jungen Frau ins Leben zurück zu kehren, sondern verdeutlicht auch ihre unglaubliche Kraft und innere Schönheit.

Kinneret Chaya Boosany suchte nach dem Bombenanschlag und während des Heilungsprozesses einen Weg mit ihren zutiefst aufgewühlten Emotionen fertig zu werden, den sie schließlich in der Beschäftigung mit der Videokunst fand, die für sie zu einem Medium wurde sich mit ihrem Trauma auseinander zu setzen. In der Form des japanischen Manga fand sie schließlich ihr adäquates Ausdrucksmittel . Das Gedicht von Nava Semel „To the Terrorist” aus dem Gedichtband für Kinder „The Courage to be Afraid“ spricht für sich selbst und vervollständigt die Installation „Open Eye – Open I“.

„Mit diesem Projekt hoffe ich, so vielen Menschen wie möglich, den >Kampf nach dem Terror< nahe zu bringen. Einen Kampf, den viele Menschen in der ganzen Welt zu kämpfen haben, nachdem sie einen Terroranschlag überlebt haben. Sie müssen kämpfen, um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Ihr persönlicher Kampf und Rehabilitationsprozess, der verbunden ist mit Hoffnung, Verzweiflung und Enttäuschungen, und der sich über Jahre mit Therapien und Operationen hinziehen kann, geht in der schnelllebigen Zeit mit seinen politischen Wechseln und in der Flut der Nachrichten unter.“, sagt Shirley Barenholz.

Shirley Barenholz, 1965 als Kind holländisch-israelischer Eltern in den Niederlanden geboren; Fotografin und Journalistin, Ausbildung in Holland und New York (International Center of Photography, Assistentin des Magnum-Fotografen Burt Glinn 1993). 1995 Teilnahme am angesehenen Eddie Adams Workshop in New York. Zurzeit ist sie als Autorin und Regisseurin an der internationalen Dokumentation „Where Home Is“ beteiligt, in der sie vier israelische Künstlerinnen beobachtet; Regisseurin von Fernsehreportagen für den niederländischen Jüdischen Kanal; Fotobuch „Children of Hope“, 1998 in den Niederlanden veröffentlicht, über zwölf israelische Familien der Zweiten Generation, deren Eltern Überlebende des Holocausts sind; Fotografien aus dem Buch wurden 1998 im Jüdischen Historischen Museum Amsterdam ausgestellt.

Kinneret Chaya Boosany, geb. 1978, lebt in Tel Aviv; 2002 schwerverletzt nach Bombenanschlag; dann Filmassistentin; seit 2005 Studium Animationsfilm; eigene Video- und Animationsfilmprojekte.

Nava Semel, geb.1954 in Tel Aviv, lebt und arbeitet in Tel Aviv. Studium der Kunstgeschichte an der Universität Tel Aviv; journalistische Tätigkeiten u.a. als Produktionsassistentin beim israelischen Fernsehen und Rundfunk; Arbeit für das Museum ofJewish Diaspora in Tel Aviv; vielfältige literarische Tätigkeiten für verschiedene Kunstzeitschriften und Frauenmagazine in Israel, Kurzgeschichten, Gedichte, Theaterstücke, Romane und Kinderbücher; 1990 National Jewish Book Award, USA / 2004 Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis In deutscher Sprache erschienen:,,Flugstunden“, Berlin Elefanten Press 1995 / „Gerschona“, Fischer Taschenbuch, Frankfurt a. Main 1995 / „Gläserne Facetten“, 10 Geschichten, Dr. Orgler Verlag, Frankfurt am Main 2001 / „Die Braut meines Bruders“, Beltz und Gelberg Verlag, Weinheim 2003, als Taschenbuch 2005.

„Detail” von Avi Mograbi
Video-Dokumentation, 2004, 9 min.

In einer 9-minütigen Filmsequenz, zeigt der 2002 mit dem Filmfriedenspreis ausgezeichnete Filmemacher und Künstler Avi Mograbi, den Versuch einer palästinensischen Familie die kranke Frau mit ihren Kindern über einen israelischen Kontrollpunkt hinweg ins Krankenhaus zu bringen. Obwohl der Sanitätswagen vor Ort ist, gelingt es den Sanitätern nicht, die Frau zu erreichen und ihr Hilfe zuteil werden zu lassen. Mit einfachen, dokumentarischen Mitteln ist es dem Künstler gelungen, das ganze Ausmaß der Verunsicherung und der Aggression gegeneinander darzustellen, was zugleich als Tragödie sowohl des palästinensischen als auch des israelischen Volkes erfahrbar wird. Staatliche Gewalt, die dem Schutz der eigenen Volkes dienen sollte, wird letztlich doch zum Terror gegen – wie in diesem Fall – hilfsdbedürftige Individuen.

Filmprogramm

„Fremder Freund“, Regie: Elmar Fischer, Deutschland, 2003, 105 min.
In einer Art Kammerspiel erzählt Elmar Fischer in seinem ersten Spielfilm von der Freundschaft zwischen einem deutschen Studenten und einem aus Jemen, die beide in Berlin studieren. Aus der anfänglichen Zweck- und Wohngemeinschaft wird über alle kulturellen Hürden hinweg bald eine Freundschaft, die angesichts der Ereignisse um den 11.September 2001 die Frage aufwirft, wie gut man eigentlich seinen besten Freund kennt.

„Osama“, Regie: Siddiq Barmak, Afghanistan/Japan/Irland, 2003
Situation der Frauen und Mädchen im Afghanistan der Talibanherrschaft
Unter den Taliban ist Gesetz, dass sich Frauen nur in Begleitung einer männlichen Person in der Öffentlichkeit bewegen dürfen. Als einzige Tochter einer afghanischen Witwe muss das Mädchen als Junge getarnt mit dem Namen Osama für den Unterhalt der Familie sorgen. Als es bei der Arbeit von einem Taliban aufgegriffen und in ein Ausbildungslager für Korankrieger gebracht wird, beginnt ein Spießrutenlauf durch eine männerdominierte, religiös-fanatische Welt. Ihr Menstruationsblut verrät sie schließlich, bringt dem Mädchen Gefängnis und die Verurteilung vor dem Sharia-Gericht. Statt der Todesstrafe wird sie als 12-Jährige mit einem alten Mann, dem Mullah, verheiratet. Sein Hochzeitsgeschenk ist ein Vorhängeschloss.

„Die innere Sicherheit“, Regie: Christian Petzold, Deutschland, 2000
Persönlicher Konflikt der jugendlichen Tochter früherer RAF-Terroristen auf der Flucht durch Europa
Jeannes Eltern waren früher Terroristen der RAF und sind im Untergrund geblieben. Jeanne ist nun 15, sie war nie in ihrem Leben auf einer Schule und hat nie Freundschaften aufbauen können. Versteckt mit ihren Eltern in Portugal lebend misstraut sie jedem Fremden. Dann lernt sie am Strand Heinrich kennen und verliebt sich – und setzt viel aufs Spiel, um ihn wiederzusehen.

„Re-Inventing the Taliban“, Regie: Sharmeen Obaid Chinoy, Es Robbins, Pakistan/ USA, 2004
Ein Dokumentarfilm über das Erstarken des islamischen Fundamentalismus in Pakistan

Sharmeen Obaid-Chinoy, eine junge Pakistanerin, die in den USA aufwuchs, begibt sich in den Nordwesten Pakistans, nach Peshawar an der Grenze zu Afghanistan, wo noch viele Mitglieder ihrer Familie leben. Die Region ist heute eine Hochburg der islamischen Fundamentalisten. Auf den Straßen, auf den Märkten sehen wir nur Männer, nur selten huscht eine völlig verschleierte Frau um die Ecke. Sharmeen Obaid-Chinoy fragt hartnäckig nach, warum Musik verboten ist, warum Videokassetten verbrannt werden, warum Frauen nicht mit Männern zusammen arbeiten dürfen oder warum die Bilder des Plakatmalers heute verboten sind. Sie spricht mit Initiatoren und Meinungsmachern, aber auch mit Vertretern eines eher progressiven Islam. Sharmeen Obaid zeigt, wie es ist, wenn die Trennung zwischen Religion und Staat aufgehoben ist. Sie schlüpft in die Rolle pakistanischer Frauen, wenn sie sich selbst in die Burka quält. Schließlich macht sie deutlich, wie tief die internationalen Verflechtungen sind.

„Bildungshunger in Afghanistan“, Regie: Paul Schwarz, Deutschland, 2005
Über neue Entwicklungen im Bildungswesen Afghanistans nach dem Sturz der Taliban

Der Dokumentarfilm des Journalisten Paul Schwarz macht aufmerksam auf die sichtbaren positiven Veränderungen, die sich in Afghanistan seit dem Fall der Taliban abzeichnen, vor allem in den Bereichen Demokratisierung und Bildung und insbesondere im Bereich der Mädchen- und Frauenförderung. Bildung weist den Weg in eine bessere Zukunft Chemieunterricht, Computerunterricht, Sportangebote – undenkbar bei den Taliban. Die Schule ist ein geschützter und aktiver Lebensraum. Die neuen Entwicklungen gehen jedoch nicht ohne Probleme einher: Es mangelt an Platz, an ausgebildeten Lehrkräften, Schulbüchern und Heften. Freilich ist es nicht leicht, den Anfangsschwung beizubehalten ohne internationale Unterstützung. Der Film gibt Einblick in Deutschlands Engagement im Bildungsbereich für die Sicherung des Friedens und der Stabilität in dem geschundenen Land.

„Lieber Muslim“, Regie: Kerstin Nickig, Deutschland/ Polen, 2005
Porträt einer tschetschenischen Journalistenfamilie, die vor Krieg und Schrecken nach Polen geflohen ist

„Lieber Muslim“ – so beginnt das Tagebuch von Sacita, das sie für ihren kleinen Sohn Muslim schreibt, damit er einmal verstehen wird, was seine Eltern im Krieg in Tschetschenien erlebt haben, weshalb sie nach Polen geflohen sind. Sacita, ihr Mann Said-Selim und ihr Sohn Muslim sitzen in ihrem kleinen Zimmer im Flüchtlingsheim einer Provinzstadt in Ostpolen. Innerlich sind sie noch gar nicht angekommen: Sie leben noch ganz in der Vergangenheit mit all den Schrecken des Krieges, die sie über Jahre hinweg selbst mit Foto- und Videokamera dokumentierten. In diesen Bilddokumenten, durch die Erzählungen und Tagebucheintragungen entsteht ein einfühlsames Familienporträt, das den Tschetschenienkrieg aus einer sehr persönlichen und direkten Sicht zeigt.

Kuratiert von Annika Niemann.

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