In den Werken der Natalia LL begegnet einem eine Künstlerin, deren Ausgangspunkt und Kraftfeld künstlerischen Arbeitens immer wieder ihr eigenes Antlitz –ihr Selbstbildnis ist. Selbstbildnisse gibt es, seitdem Frauen malen und Künstlerinnen sind, also schon immer. Ohne gleich die matriarchalen Vorzeiten zu bemühen, sei an Darstellungen einer Angelika Kaufmann erinnert, die man ohne weiteres als Selbstinszenierung bezeichnen könnte. Paula Modersohn-Beckers ganzes Lebenswerk durchzieht die Suche nach dem eigenen Weg im Bildnis von sich selbst, und Frieda Kahlo baute sich mit Hilfe der Selbstbildnisse eine geradezu komplette Nebenexistenz.
Der geschützte Rahmen der Selbstdarstellung und die zwischen Wirklichkeit und Künstlichkeit angesiedelte Fotografie mit ihrem scheinbaren Realitätscharakter und ihrer prägenden Wirkung auf unseren alltäglichen visuellen Erfahrungsraum wurde von Natalia LL als Möglichkeit entdeckt, um mit äußerer Erscheinung, mit Selbst- und Fremdbild, mit individuellen Erfahrungen und fremden, typisierenden Projektionen zu experimentien.
Seit Beginn der 70er Jahre schreitet Natalia LL konsequent dieses künstlerische Experimentierfeld aus. Ebenso arbeitet beispielsweise Ulrike Rosenbach, Valie Export, Cindy Shermann, Colette oder auch Rebecca Horn. In der Serie „Platonische Formen“ von A – M, die die Künstlerin 1990 geschaffen hat, verfremdet sie ihr eigenes Antlitz. Verdeckt Individuelles, positioniert den Kopf in verschiedenen Raumpositionen enface oder im strengen Profil auf dem weißen Bildgrund der Fotoleinwand. Auf Auge, Nase, Mund als wesentliche Sinnesorgane werden platonische Formen projeziert, mit deren Hilfe die Künstlerin auf die jeweilige Bedeutung gerade dieser Gesichtsstruktur verweist, zur Kon-zentration anregt und gleichzeitig empfiehlt sich immer wieder auf’s Neue der eigenen Sinne zu bedienen.
Ihr Gesicht wird zur Projektionsfläche. Die fotografische Darstellung des Gesichts ist nicht mehr Inhalt der Fotografie, sondern eher Material, welches noch zusätzlichen künstlerischen Bearbeitungsprozessen unterzogen wird. Das fotografische Bild scheint sich hier vom Darstellungsmittel in Richtung eines eigenständigen Kunstwerkes zu entwickeln. Das Gesicht als Spiegel und auch den Mut zu haben, hineinzuschauen; Lebenslinien zu entdecken, anzunehmen.
Die Literatin Virginia Woolf kämpfte um eine extreme Differenzierung zwischen Selbstbildnis und Fremdbild. „Leute sollen keine Spiegel in ihren Räumen hängen haben.“ Mit diesem Satz beginnt und endet ihre Erzählung „Die Dame im Spiegel“. Hier geht es nicht um Scham, sondern um die Täuschungen von Reflexionen in den Augen anderer. Virginia Woolf verweigert sich den Kopien, da sie sich selbst sieht, benötigt sie keine Spiegel.
Zu ihrer Installation „Panische Sphäre“ schrieb Natalia LL im März 1991: „Meine Installationen „Panische Sphäre“ sind Bilder des Kopfes auf Stühlen. Die flüchtige Materie des Kopfbildnisses ist auf Fotoleinen ausgeführt, dennn es ist ein geheimes Abbild des wahren Bildes (Veraikons) des Wesentlichen. Der Stuhl ist mir eine Art Schlüssel zur Wirklichkeit: Er bedeutet nicht nur sitzen oder seßhaft werden, er ist ein Symbol für Konkretes und Ruhiges.
Die „Panische Sphäre“ ist ein Ruf nach der Freiheit. Der Mensch so Schmerzhaftes erfahren und zerbrechlich, darf nicht durch Primitives zermalmt werden. Der menschliche Verstand ist das Prinzip, was die Welt regiert.“ Assoziationsketten zum Schweißtuch der Veronika können sich aufbauen beim Betrachter. Diese Selbstreflexion der Künstlerin, die auf den Gewinn neuer Räume abzielt: die not-wendige Intimität, die diese Räume künstlerischer und auch geschlechtlicher Identität ermöglicht, wirft Licht auf den „öffentlichen“ Raum, der nicht zuläßt, daß das Objekt immer auch Subjekt ist.
Fotografinnen wie Natalia LL haben disen Raum, und sie füllen ihn ganz aus. Ob sie sich reflektierend darin finden oder verlieren, zeigen die Abbilder nicht. Sie sind keine Dokumente, die Stadien und Prozesse festhalten wollen, keine Zeugnisse von „Spurensicherung“, da sie sich ganz auf den Moment beziehen –zeitlos und doch zu einer bestimmten Zeit: als einmalige Augenblicke.
Text: Carmen Lode
Geschichte