Mit Pascale Marthine Tayou
Kuratiert von Alya Sebti
Die Ausstellung des ersten Kapitels widmet sich Pascale Marthine Tayou. Mit seiner Einzelausstellung Kolmanskop Dream schafft Tayou eine mentale Skulptur der Stadt Kolmanskop, einer ehemaligen deutschen Kolonie und heutigen Geisterstadt in der Namib-Wüste und fragt, ob das Argument der Stärksten immer das Beste ist. („La raison du plus fort est-elle toujours la meilleure?“).
Heute sind die Häuser in Kolmanskop vom Sand der Wüste verschluckt, aber unter dem Sichtbaren und Offensichtlichen existieren noch immer die verborgenen kolonialen Strukturen in Form von Erinnerungen, Wissensbeständen, sozialen und kulturellen Beziehungen, Denkweisen und Praktiken. Tayou verwebt vergessene Geschichten, verborgene Erinnerungen und zeitgenössische Phantasien. Er untersucht die kolonialen Wunden und deren heutige Topographien sowie ihre Plätze in unseren individuellen und kollektiven Erinnerungen.
Der Künstler spielt mit exotisierenden Stereotypen und spiegelt den Blick auf Afrika zurück. Beispielsweise lässt er Kristallmasken von seiner Installation Branches of Life (Zweige des Lebens) hängen und bezieht sich damit auf die afrikanischen Masken, die über den Westen verbreitet sind und, wie er es beschreibt, als imaginierte Güter, als „Voodooisierung des Alltags“1 benutzt werden: Diese Masken sind erdachte „Machtfiguren“, die sich auf keine bestimmte Kultur beziehen. Da sie aus Kristall, aus einer traditionellen Manufaktur in der Toskana, hergestellt wurden, sind sie kostbare und verletzliche Objekte. Tayou bringt immaterielle Eindrücke und Materialien zusammen, Fragmente von Momenten, die er an den zahlreichen Orten sammelte, die er bewohnt hat – sei es für eine Stunde oder zehn Jahre. Er begrüßt die verbundenen Realitäten der Welt. „Pascale Marthine Tayous Welt“, wie Bernard Blistène sagt, verkörpert, was der Dichter und Philosoph Edouard Glissant eine „Philosophie der Verbundenheit“2 nennt, sowie den Gedanken an eine globale Verwandtschaft, den Gedanken der Tout-Monde.
Mit seinen Installationen erschüttert Tayous lautes Lachen die kolonialen Mauern und zeigt, dass das Argument der Stärksten nicht unweigerlich das Beste ist. Da jeder von uns, jenseits der kolonialen Trennung, die Ganzheit der Welt in sich trägt, kann es den immer Stärksten gar nicht geben.
1 — Gemma Rodriguez, The voodooization of everyday life: Pascale Marthine Tayou, in catalog of the exhibition WORLD SHARE Fowler Museum UCLA.
2 — Bernard Blistène, catalog of the exhibition ALLWAYS ALL WAYS (tous les chemins mènent à…), Malmö Kunsthalle.