Mit:

Tatyana Arzamasova
Lev Evzovitch
Evgenij Svjatskij

Ich träumte einen mir völlig unerwarteten Traum, da ich noch nie so etwas gesehen hatte. In Dresden befindet sich in der Galerie ein Gemälde von Claude Lorrain, nach dem Katalog „Acis und Galathea“; ich habe es immer „Goldenes Zeitalter“ genannt, Ich weiß selbst nicht warum. Ich hatte es schon früher gesehen, jetzt aber, vor drei Tagen noch einmal im Vorübergehen bemerkt.

Ebendies Gemälde erschien mir auch im Traum, aber nicht als Gemälde, sondern als wäre da wirklich etwas da. Übrigens weiß ich nicht, was mir eigentlich träumte: genauso wie auf dem Bild ein Winkel des griechischen Archipels, dabei war auch die Zelt gleichsam um dreitausend Jahre zurückgestellt; blaue, kosende Wellen, Inseln und Klippen, ein blühendes Gestade, ringsum ein bezaubemdes Panorama, der Lockruf der sinkenden Sonne – mit Worten nicht wiederzugeben.

Hier hat die europäische Menschheit die Erinnerung an ihre Wiege bewahrt, und der Gedanke daran erfüllt gleichsam meine Seele mit Heimatliebe. Hier war das irdische Paradies der Menschheit: Götter stiegen vom Himmel hernieder und verschwägerten sich mit den Menschen … Oh, da lebten herrliche Menschen! Sie standen auf und erwachten glücklich und unschuldig, Wiesen und Haine waren erfüllt von ihren Gesängen und fröhlichen Rufen; ein großer Überschuß an ungenutzten Kräften wandelte sich in Liebe und einfältige Freude.

Die Sonne übergoß sie mit Wärme und Licht, voller Freude über ihre prachtvollen Kinder … Wunderbarer Traum, erhabener Irrtum der Menschheit! Das Goldene Zeltalter – der unwahrscheinlichste aller Träume, den es je gab, für den aber die Menschen ihr Leben und alle ihre Kräfte ganz hingegeben haben, für den Propheten gestorben sind und sich getötet haben, ohne den die Völker nicht leben wollen und nicht einmal sterben können! Und diese ganze Empfindung war gleichsam jenen Traum hindurch lebendig; Felsen und Meer, und die schrägen Strahlen der untergehenden Sonne – all das habe ich gleichsam noch gesehen, als ich erwachte und die Augen öffnete, die buchstäblich von Tränen benetzt waren. Ich erinnere mich, daß ich froh war. Das Gefühl eines mir noch unbekannten Glücks durchdrang mein Herz sogar bis zum Schmerz; das war eine die ganze Menschheit umfassende Liebe.

Fjodor M. Dostojewskij
Der Jüngling, Petersburg 1875 nach einer Übersetzung von M. Gras-Racid, 1977