Die Ausstellung Utopia – Zum Dokumentarischen in der kaukasischen Fotografie geht aktuellen Tendenzen in der Fotografie Armeniens, Aserbaidschans und Georgiens nach. Verschiedene Aspekte des Dokumentarischen werden vor- und zur Diskussion gestellt – von der Reportage über die fotografische Verfolgung eines Themnas, von Fragmentarisierung bis hin zur inszenierten Fotografie, die sich den Anstrich eines Zeitdokumentes gibt. Aufgrund der subjektiven Sicht des Fotografen, seiner individuellen ethischen, politischen, religiösen und ästhetischen Prägung und Haltung beinhaltet jede Fotografie jedoch zwangsläufig immer auch eine Interpretation der Wirklichkeit.

Die Fotografinnen und Fotografen, die in der Ausstellung ihre Arbeiten zeigen, gehören nicht nur verschiedenen Generationen, sondern auch verschiedenen Nationalitäten mit jeweils eigener (kunst-)geschichtlicher Entwicklung an. Unabhängig von einer zunehmenden Internationalisierung auch der zeitgenössischen osteuropäischen Kunst bleibt die Zugehörigkeit zu einer lokalen Kunstszene bestehen, einer lokalen, regionalen und nationalen Szene, in deren Diskurs sich unterschiedliche Ansätze, (Be-)Deutungen und Kriterien entwickeln. Was die Fotografie in der Kaukasusregion jedoch verbindet, ist die inhaltliche Auseinandersetzung mit Fragen der Identität sowie ein Hang zur Nostalgie: Die Rückbesinnung auf Werte aus vorsowjetischer Zeit ist Ausgangspunkt für die Gestaltung der Zukunft. Trotz aller Differenzen zwischen den einzelnen Ländern auf politischer Ebene, trotz kriegerischer Auseinandersetzungen im letzten Jahrzehnt und trotz lokaler und nationaler Unterschiede bestand innerhalb der kaukasischen Kunstszene immer eine enge Verbindung; gemeinsame Ausstellungen im Ausland wurden organisiert, und die Region hat sich als eine lebendige, vielfältige und doch in sich geschlossene Kunstszene dargestellt. Aus diesem Grund wurde auch die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler für diese Ausstellung nicht formal nach nationaler Zugehörigkeit getroffen, sondern nach dem individuellen künstlerischen Beitrag zum Thema der Ausstellung. Während der Zeit der Sowjetunion wurde die Fotografie im Wesentlichen als Mittel der Propaganda genutzt, mit der unter Einhaltung der ideologischen Vorgaben vor allem sowjetischen Klischees von Wirklichkeit entsprochen wurde. Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion konnte sich eine formal und inhaltlich eigenständige Fotografie entwickeln, die von der Generation der heute über 50-jährigen Künstlerinnen und Künstler geprägt ist. Aufgrund ihres Wirkens entwickelte sich eine eigenständige Szene, in der sich die Fotografie als Informationsinstrument und als künstlerisches Medium durchgesetzt hat. Kritische und schonungslos offene Fotodokumentationen geben Einblick in das Alltagsleben und offenbaren gesellschaftliche Missstände. Gerade weil jahrzehntelang die Wirklichkeit mit Hilfe der Dokumentarfotografie verfälscht wurde, erlangte das Dokumentarische in der kaukasischen Fotografie in den vergangenen Jahren neue Bedeutung: Fotografinnen und Fotografen dokumentieren oder inszenieren ihre eigene Sicht auf die Realität und setzen das Dokumentarische bewusst dazu ein, Wirklichkeit und Wahrheit zu hinterfragen. Wir danken dem Council of Europe Information Office, Tbilisi, für die großzügige Unterstützung. Ebenso danken wir Wato Tsereteli, Leyla Akhundzade, Eva Khachatryan, den Künstlerinnen, Künstlern, Autorinnen und Autoren für die gute und fruchtbare Zusammenarbeit. Dank sagen möchten wir auch der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, die uns im Rahmen Auswärtiger Kulturpolitik die Intensivierung des interkulturellen Dialogs ermöglicht.

Künstler:innen: Irina Abzhandadze, Rashad Alekberov, Albert Babelyan, Rena Effendi, Natela Grigalashvili, Larissa Katasanova, Gela Kuprashvili, Mekhti Mamedov, Ruben Mangasaryan, Serj Navasardyan, Sevinj Pirizadeh-Aslanova, Nino Sekhniashvili