Das Projekt Survival Kit ist das Ergebnis eines ebenso intimen wie pluralistischen Narrativs, das meine Recherchen zu Schlüsselmomenten der zeitgenössischen senegalesischen Malerei zwischen den 1960er und 1990er Jahren widerspiegelt. Es basiert auf den persönlichen und familiären Archiven, die ich von meiner Mutter, der Journalistin und Kulturaktivistin Anne Jean Bart, und meinem Vater, El Hadji Sy, einem renommierten Maler und Bühnenbildner, geerbt habe.
Nach dem Tod meiner Mutter wurde Survival Kit 2019 in Dakar ins Leben gerufen. Bei der Durchsicht ihres Archivs, insbesondere ihrer in der Zeitung Le Soleil veröffentlichten Schriften, entdeckte ich die Geschichte aus ihrer Sicht, aber auch die Konturen einer Kunstszene, in der mein Vater einer der zentralen Akteure war. Ab den 1980er Jahren versuchte diese Szene sich von den staatlichen Normen zu emanzipieren, die durch die kulturelle Vision von Léopold Sédar Senghor vorgegeben waren.
Seinen Spuren folgend, setzte ich meine Forschungen in Deutschland fort, wo er selbst ein halbes Jahrhundert zuvor gelebt hatte. Dank des Turn 2-Programms der Kulturstiftung des Bundes konnte ich seinen Weg über Frankfurt und Bayreuth zurückverfolgen und hatte Zugang zu den Archiven von Museen, die seine Werke und die anderer senegalesischer Künstler:innen ausgestellt hatten – von der bis hin zur Génération de la Rupture. Meine Reise führte mich auf die Biennale in Venedig und nach London, wo ich die Archive von Africa 95 besuchte, einem landesweites Festival und Ausstellung, an der er teilgenommen hatte.
Die Archive haben ein Mosaik aus Bewegungen, Kollektiven und künstlerischen Initiativen offenbart, die die Geschichte der zeitgenössischen Kunst im Senegal bis heute prägen. Dieser Weg wurde jedoch von einer Erkenntnis begleitet: dem Bewusstsein über die Zersplitterung eines Gedächtnisses, das heute weit entfernt von seinen Ursprungsorten verstreut ist. Ein Gedächtnis, das anderswo archiviert ist, in Museen, Institutionen oder privaten Beständen, und das Fragen über die Zirkulation von Wissen, die Ökonomie des Archivs und die Modalitäten seiner Rückgabe aufwirft.
Mit Survival Kit versuche ich mir eine Erzählung und eine Erinnerung wieder anzueignen, die sich uns zu entziehen schien. Survival Kit wird so zu einer dreidimensionalen – persönlichen, historischen, politischen Antwort auf die Herausforderungen der Bewahrung und Weitergabe unseres künstlerischen Erbes. Es stellen sich die Fragen: Wie haben wir Zugang zu diesem Wissen ? Warum bleiben uns diese Geschichten verschlossen? In einer Zeit, in der der Diskurs über die Entkolonialisierung zunimmt und die Restitution zu einem globalen Thema wird, ist es dringend notwendig zu fragen: Was verhindert auch heute noch die Rückgabe von Kunstwerken ? Und in wessen Interesse?
In dieser Perspektive klingen die Gedanken von Felwine Sarr besonders nach. Wie er betont:
„Die Rückgabe zielt nicht nur auf die Wiedergutmachung einer historischen Ungerechtigkeit ab. Sie ist Teil eines umfassenderen Prozesses: des Prozesses, sich mit sich selbst zu versöhnen, wieder eine entspannte Beziehung zur Welt aufzubauen und unterbrochene Lebenswege zu rehabilitieren.“
Seine Worte werfen ein Licht auf das, was in diesem Prozess auf dem Spiel steht: Bei der Restitution geht es eben nicht nur um die Übertragung von Gegenständen, sondern vor allem auch um eine symbolische, politische und spirituelle Rückeroberung
Diese Ausstellung stellt eine neue Etappe in meiner vor fünf Jahren begonnenen kuratorischen Untersuchung dar. Sie eröffnet eine Reihe, die im Juni 2025 in der ifa-Galerie Berlin beginnt und im Oktober in Stuttgart fortgesetzt wird. An der Schnittstelle zwischen kuratorischer Forschung und der Aufwertung von kulturellem Erbe, bietet sie ein Panorama, das in einem Familienarchiv verankert ist, aber von einer kollektiven Ambition getragen wird.
Survival Kit ist nicht einfach nur eine Sammlung von Objekten oder Dokumenten: Es ist ein Fragment lebendiger Erinnerung, ein Erbe in Bewegung. Mit dieser Ausstellung möchte ich eine neue internationale Perspektive auf die Werke und Erzählungen eröffnen, die die senegalesische Kunstszene geprägt haben – und immer noch prägen. Dieser Dialog zwischen dem Intimen und dem Globalen lädt dazu ein, darüber nachzudenken, wie kulturelles Erbe, wenn es über seine Ursprünge hinaus zirkuliert, zu einer gemeinsamen Sprache wird, die Resilienz, Kreativität und Identität fördert.Durch das Intervenieren in deutschen Institutionen versucht Survival Kit einen Austausch über afrikanische Archive und kulturelles Erbe zu initiieren. Das Projekt erforscht die Spannungen, Brücken und Möglichkeiten der Restitution. Survival Kit ist in diesem Sinne wie ein Kompass: ein Werkzeug zur Navigation durch die Möglichkeiten des zeitgenössischen kreativen Schaffens und ein Plädoyer dafür, dass Archive über die Erinnerung hinaus zu Motoren der Zukunft werden können.
Kuratiert von Ken Aïcha Sy
Kuratorische Assistenz Nikola Hartl
Unter der Schirmherrschaft der UNESCO. Diese Ausstellung wird anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen organisiert.
DANKSAGUNG – Ken Aïcha Sy
Ich möchte all jenen meine tiefe Dankbarkeit aussprechen, die diese Forschung genährt, unterstützt und manchmal auch herausgefordert haben. Meiner Mutter, Anne Jean-Bart – dem Ausgangspunkt dieser Reise -, der diese Arbeit gewidmet ist. Danke an Alya Sebti, Mentorin und Freundin, für ihr unerschütterliches Vertrauen. An das Team – Nikola Hartl, Svenja Wolff, Ev Fischer, Stefano Ferlito und Anna Ratcliffe. Clémentine Deliss für ihren scharfen Blick und ihre unerschütterliche Ermutigung. Meinen Kollegen und Wegbegleitern – Philipp Horn, Anna Helfer, Alexandra Kuhnke, Nick Bartlett und Bamba Diop – und denjenigen, die mich in Gesprächen wachsen ließen: Eyumane Baoulé Assengone, Massamba Mbaye, Alassane Mbengue, Sylvain Sankalé und Felwine Sarr. Ich danke Ihnen für den bereichernden Austausch.
Ein besonderer Gedanke geht an Djibril Anton, der uns vor einigen Monaten verlassen hat, dessen Freundlichkeit und Wärme aber weiter nachhallen.
An die Künstler:innen, die Geschichte geschrieben und großzügig einen Teil davon mit mir geteilt haben: Kan Si, Djibril Sy und Abdoulaye Ndoye. Und an meinen Vater El Hadji Sy, dessen Anwesenheit, Werke und Schweigen im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen. Indem er mir keine Abkürzungen anbot, lehrte er mich Durchhaltevermögen: Es sind zweifellos diese Umwege, über die ich mich, fünf Jahre später, wiedergefunden habe.
Dieses Projekt wäre ohne die großzügige Unterstützung und Zusammenarbeit mit unseren institutionellen Partnern nicht möglich gewesen: ZK/U Berlin, Goethe-Institut Senegal, British Council Sénégal, Weltkulturen Museum Frankfurt, Iwalewahaus – Universität Bayreuth, Villa Ndar, und das Institut Français du Sénégal.
