Ein Festival im Goethe-Institut im Exil von und mit Stipendiat*innen der Martin Roth-Initiative.

Haben Sie je den Gesang dieses Vogels gehört?

Einer der Hauptgründe, warum Vögel singen, ist die Verteidigung ihres Territoriums. Mit ihrem Gesang signalisieren sie ihre Anwesenheit: Ich bin hier, ich existiere. Ihr Gesang lässt sich aber nicht nur als eine Form der Signalübermittlung verstehen, sondern als komplexer und fragiler Austausch zwischen den Vögeln und ihrer Umgebung. Kein Vogelgesang gleicht dem anderen.

Haben Sie schon mal den Gesang des Rotkehlchens gehört? Ein klares, melodiöses Pfeifen, das die Morgensonne begrüßt und den Beginn eines neuen Tages feiert – ein Symbol für Hoffnung und Erneuerung. Oder den Gesang des Stars, der sanfte, flüssige Laute von sich gibt und rau und rasselnd trällert, und mitunter sogar andere Vögel imitiert. Nachts kann man die Nachtigall gut verborgen in ihrem Baumversteck ihre nächtlichen Lieder singen hören.

Aus Sicherheitsgründen suchen sich Vögel in der Regel hohe Bäume zum Singen. Das Geäst und die Blätter bieten Schutz vor Raubtieren, Wind und Regen. Bäume bieten auch Schutz für die Nester, in denen die Jungvögel heranwachsen.
Mit ihrem starken Stamm und fest verwurzelt in der Erde, bieten Bäume einen geschützten Raum für all jene, die von einem Ort zum anderen ziehen, stets in Bewegung sind oder einfach nur frei leben.

Das Festival Once We Were Trees, Now We Are Birds vertieft Themen der gleichnamigen Ausstellung, deren Titel auf eine Überlieferung aus der südöstlichen Küstenregion der Türkei verweist, wonach Tauben singen: „Oh mein Nachbar, oh Oleaster, einst waren wir Bäume, jetzt sind wir Vögel“. Diese poetische Formel ruft Themen wie die Brüchigkeit von Zugehörigkeit, die Entwurzelung durch Vertreibung und die innere Dynamik von Neuanfängen in unbekannten Landschaften auf. Sie handelt von der Fluidität von Identität, der Fragilität von Heimat und von der Resilienz, die es braucht, um mit Vertreibung umzugehen.

Das Festival besteht aus vier Hauptteilen: einem Performance- und Filmprogramm, kuratiert von Emrah Gökdemir, einem Musikteil, kuratiert von Ludmila Pogodina, und einem Literatur- und Diskursprogramm, kuratiert von Kholoud Bidak und Anna Karpenko.

An drei Tagen (6. – 8. Juni 2025) werden bildende Künstler*innen, Performer*innen, Musiker*innen, Lyriker*innen, Schriftsteller*innen und Filmemacher*innen – alle Stipendiat*innen der Martin Roth-Initiative – ihre einzigartigen Lieder, Geschichten, visuellen Erzählungen und poetischen Stellungnahmen präsentieren. Ihre Arbeiten beschäftigen sich mit Themen wie Verlust und Trauer, Freude und Glück, Vertreibung und Transgression – dem Leben eines Vogels auf der Suche nach seinem Nistbaum.

Das Kunsthaus ACUD ist in diesem Rahmen nicht nur ein Veranstaltungsort, sondern auch ein temporäres Nest. Ein Zufluchtsort, an dem Stimmen, die von Vertreibung geprägt sind, Resonanzen erzeugen und neue Vorstellungswelten erschaffen können.

Wenn wir im Sommer Vögel oben am Himmel beobachten und dann auf die Bäume schauen, die ihnen mit ihren Ästen Schutz bieten, wird uns die schöne Verbindung zweier Wesen bewusst – das eine zum Fliegen geschaffen, das andere als sicherer Halt. Einen Moment lang begegnen sie sich, vereint im Gesang. Wie wir alle haben sie unterschiedliche Lebenswege, aber hin und wieder halten sie inne, um die Vielfalt und Einzigartigkeit unserer Formen, unserer gemeinsamen Welt zu erleben.

Kommen Sie also mit Ihren Liedern zu uns und fühlen Sie sich herzlich willkommen im warmen Nest des ACUD!

Ihre Festivalvögel,
Kholoud Bidak, Emrah Gökdemir, Anna Karpenko, Ludmila Pogodina

Ort: Kunsthaus ACUD, Veteranenstraße 21, 10119 Berlin

Sprache: Englisch, Deutsch

Eintritt frei

KURATORISCHE STATEMENTS

Folded Wings – Performanceprogramm von Emrah Gökdemir

Once We Were Trees, Now We Are Birds handelt von Verwandlung – nicht nur von einer Lebensform in eine andere, sondern auch von den Transformationen innerhalb des Lebens eines Individuums, wenn es an einem unbekannten Ort neu anfängt. Transformation ist in diesem Fall nicht nur eine Metapher, sondern gelebte Erfahrung.

In ihren Performances erkunden die eingeladenen Künstler*innen, wie der Körper mit Transformation umgeht und auf sie reagiert, sie in Geschichten verwandelt und dem Publikum mehr anbietet als nur Zeugenschaft.

Letters Home, eine Performance von Alena Starostina und Ivan Nikolaev, beruht auf Bewegungen und Gedanken, die die beiden Theatermacher*innen in den letzten zweieinhalb Jahren gesammelt haben, nachdem sie Russland verließen und nach Deutschland zogen. Gezeigt werden zwei der vier Teile, eine zutiefst persönliche Reflexion über die prekären Begriffe von Heimat, Sprache, Erinnerung und Zukunft.

In Run Fast, Bite Hard untersucht Elisabete Finger die Möglichkeiten der Interaktion und Kooperation zwischen verschiedenen Spezies und ihren heterogenen Existenzen. Dante Buu zeigt am zweiten Tag des Festivals eine Langzeitperformance, und Sujatro Ghosh schließt das Programm mit einer interaktiven Performance zum Thema Essen ab.

Die auf dem Festival gezeigten Performances erkunden den Körper als Ort der Transformation – einen Ort, an dem Erfahrungen von erzwungener Migration und Vertreibung in performative Ausdrucksformen übersetzt werden. In diesem Schwebezustand – mit angelegten Flügeln, aber bereit zum Abheben – bewegen sich die Künstler*innen durch wandelnde Geografien, Sprachen und Erinnerungen und verkörpern die Spannung zwischen Gebrochenheit und Widerstandsfähigkeit.

Flying Backward – Filmprogramm von Emrah Gökdemir

Flying Backward startet in Deutschland – das hier nicht ein Endpunkt ist, sondern der Ausgangspunkt für eine Reise rückwärts. Wie ein Vogel, der zurückblickt auf seinen Weg über die Himmel und Grenzen hinweg, überblickt die Filmreihe wie aus der Vogelperspektive verschiedene Geografien und berichtet von Vertreibung, Erinnerung und Überleben.

Die Reihe beginnt mit A Praga von Igor Vidor. Der Film spielt in der beschaulichen deutschen Stadt Oberndorf am Neckar und beschäftigt sich mit der dort ansässigen Waffenindustrie. Durch die Gegenüberstellung mit Archivaufnahmen aus Regionen in Lateinamerika, in die diese Waffen seit hundert Jahren exportiert werden, regt das Werk zum Nachdenken über die Wirtschaft des Krieges an.

Vahid Zarezadehs Film A Sound of Silence befasst sich mit den Folgen des Iran-Irak-Krieges und porträtiert iranische Soldaten, deren psychische Gesundheit durch den Konflikt gelitten hat. Mit einem poetischen Kamerablick macht der Film ihre unterdrückten Geschichten und die verheerenden Auswirkungen des Krieges auf Gemeinschaften sichtbar.

Emrah Gökdemirs Film What Do the Birds Say? dokumentiert das Leben eines weiteren Menschen, der durch einen Krieg vertrieben wurde. Auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien lässt sich der Protagonist im Südosten der Türkei nieder, wo wir sowohl die Schwierigkeiten eines Menschen beim Neuanfang im Exil gezeigt bekommen als auch die Wahrnehmung dieses „fremden Anderen“ durch die lokale Gemeinschaft.

Wie viel kann ein Mensch mitnehmen, wenn er einen Ort verlassen muss? Wo finden sich die Spuren unserer Vergangenheit? Welche Zeugnisse birgt eine Landschaft? Diese Fragen führen uns nach Armenien, wo Zeynep Güzel in Come Rain or Shine auf einer sehr persönlichen Reise ihre Familiengeschichte zu erforschen versucht. Während ihre Kamera sich durch postsowjetische Industrielandschaften bewegt, erkundet Güzel auf der persönlichen Ebene die Schnittstelle zwischen Erinnerung, Orten und Vertreibung.

Birds Radio – Musikprogramm von Ludmila Pogodina 

Lange vor der Entwicklung der Schrift oder Staaten und Grenzen war die menschliche Stimme ein Medium gegenseitiger Unterstützung und der Bewahrung persönlicher Geschichten. Wenn unsere Nester zerstört werden, fliegen wir von Ort zu Ort und singen unsere Lieder in unserer Muttersprache und in fremden Sprachen, damit unsere Erzählungen nicht in endlosen Informationsströmen untergehen oder unsere Identität in ihnen verschwindet.

Unabhängig von ihren Herkunftsländern sind vertriebene Menschen bei dieser für sie transformativen Erfahrung in der Suche nach Zeichen der Zugehörigkeit am neuen Ort verbunden. Wie viele Schichten wir abtragen müssen, um diesem Gefühl näher zu kommen, kann dabei sehr unterschiedlich sein. Unsere Körper und Identitäten spielen eine Rolle in einem Skript, das für uns unvertraute Systeme geschrieben wurde.

Pures Musikperformance handelt von der Schwierigkeit, nach Wurzeln an unvertrauten Orten und in einem schwierigen gesellschaftlichen Klima zu suchen und sich dabei selbst treu zu bleiben. Für Zeyo Mann wurde Hip-Hop zu einer wesentlichen Quelle der Heilung von Entfremdung und Nichtzugehörigkeit.

Die Mittel, die wir uns suchen, um unserer Identität Ausdruck zu verleihen und sie zu bewahren, ergeben zusammen ein Spektrum. Das Musikprogramm des Festivals Once We Were Trees, Now We Are Birds möchte dieses Spektrum abbilden, von den Echos traditioneller Stimmen bis hin zu den Rhythmen und Klängen der Gegenwart. Radio JaguarParham Alizadeh, Amado León und Soheil Soheili nutzen ihre Musik zur Stärkung und Ermächtigung von Gemeinschaften. Die Beiträge von Sarvenaz Mostofey und Ludmila Pogodina feiern Schwesternschaft und hinterfragen traditionelle Geschlechterrollen.

Wir alle singen, nicht weil wir Antworten haben, sondern weil wir Fragen stellen und Geschichten erzählen wollen.

Birds in the Skies, Mycelium Under the Ground – Literatur und Diskursprogramm von Kholoud Bidak und Anna Karpenko

Literatur kann ein wirkungsvolles Mittel sein, um Brücken zu schlagen und Einzelnen und Gemeinschaften zu ermöglichen, selbst im Exil Wurzeln zu schlagen, ähnlich wie das Myzel genannte Pilzgeflecht, das unter der Erdoberfläche wachsen und Verbindungen herstellen kann.

Bei der literarischen Podiumsdiskussion des Programms Birds in the Skies, Mycelium Under the Ground geht es um die Frage, wie Schriftsteller*innen und Künstler*innen trotz ihres Lebens im Exil durch ihre kreative Praxis weiterhin Bedeutung schaffen und Zugehörigkeit herstellen. Diskutiert werden insbesondere die Paradoxien von Freiheit und Zugehörigkeit in einer Welt der Vertreibung.

Wo können wir wieder ein Zuhause finden? Ist die Herstellung von Zugehörigkeit ein individueller oder kollektiver Prozess?

Die Podiumsdiskussion wird sich auch mit der Rolle von Literatur und Kunst in der kollektiven Erfahrung des Exils befassen und wie sie auf dem emotionalen und geistigen Terrain der Vertreibung als Landkarte dienen können.

Das Leben im Exil, insbesondere in Deutschland, und das Erfordernis, sich durch die vielen Schichten des Systems zu kämpfen, um sich überhaupt ein Leben hier aufbauen zu können, kennen nur Migrant*innen, während Einheimische davon nicht einmal etwas mitzubekommen scheinen.

In einem Gespräch mit Ma Thida über ihre Arbeit, die sich mit der Unterdrückung in Myanmar und den Herausforderungen des Lebens in Deutschland befasst, stellt das Panel eine Verbindung zu Aya Sammanis Erfahrungen in Bezug auf Gender und Vertreibung her. Ein weiterer Podiumsteilnehmer ist Ali Abdollahi, der eine nochmal andere Facette seiner eigenen Reise beleuchten wird.

Beim diskursiven Panel From Places to Traces diskutieren Vertreter*innen der Martin Roth-Initiative, des Goethe-Instituts im Exil, der Gastgeberinstitutionen/Gastgeber*innen und ehemalige MRI-Stipendiat*innen über neue Herausforderungen für die Schutzprogramme wie das MRI in der Gegenwart und denken über Wege und Lösungen nach, wie ihre Netzwerke gleich einem lebendigen Myzel von Verbindungen bewahrt werden können.